

Ein neues Handbuch für Migrationspolitik
Sieglinde Rosenberger in FALTER 19/2023 vom 10.05.2023 (S. 23)
Der bereits seit längerem prognostizierte Fachkräftemangel hat sich gegenwärtig zu einem generellen Arbeitskräftemangel ausgewachsen. Zahlreiche Unternehmen, der Dienstleistungssektor ebenso wie öffentliche Gesundheits-und Versorgungseinrichtungen suchen nach Mitarbeitern nahezu aller formalen Ausbildungsgrade.
Denn die Grenzschließungen während der Corona-Pandemie haben einmal mehr verdeutlicht, wie sehr das Wohlergehen der alternden europäischen Gesellschaften ebenso wie die Innovations-und Wettbewerbsfähigkeit von Zuwanderung abhängig sind. Manche Länder umwerben Arbeitskräfte mit dem Versprechen auf Niederlassung in einem attraktiven, inklusiven Umfeld. Andere verfolgen noch bzw. wieder den Weg der Gastarbeits-und Pendelmigrationsmodelle -dies, um antimigrantische Stimmungen in der Wählerschaft nicht allzu rasch und allzu sehr zu brüskieren. Die österreichische Politik tut sich derzeit offensichtlich noch eher schwer, den jahrzehntelang gepflegten, kulturell abwehrenden Migrationsdiskurs zu drehen, um gegen den Mangel am Arbeitsmarkt praktische Zuwanderungslösungen zu finden.
In dieser politisch-ökonomisch widerstreitenden Gemengelage kommt die Monografie "Migration &Arbeit" gerade zur richtigen Zeit. Gudrun Biffl, Pionierin der Arbeitsmarktforschung in Österreich, und Peter Huber vom Institut für Wirtschaftsforschung verfolgen in diesem Buch eine Annäherung an arbeitsmarktpolitische Theorien und Thesen mit der Migrationsbrille bzw. sie betrachten die Möglichkeiten und Grenzen der Migrationssteuerung mit der Arbeitsmarktbrille. Der Fokus liegt auf Österreich, informativ eingebettet in internationale Studien. Herausgekommen ist ein kompaktes Werk, das das Wissen zum Stand der Arbeitsmigranten (Bildung, Geschlecht, Herkunft etc.) und zu den Dynamiken des Arbeitsmarkts sowohl im Aufnahme-als auch im Herkunftsland einfängt. Politikansätze der Arbeits-und Migrationssteuerung werden ebenso formuliert wie Szenarien für eine zukünftige nachhaltige Arbeitsmarkt-und Migrationspolitik.
Analytisch ist die Vermittlung der gegenseitigen Beeinflussung von strukturellen und individuellen Faktoren der Migration sehr gelungen: Sie wird in den Lohnunterschieden, in der Segregation nach mehr oder weniger konjunkturabhängigen Branchen und der Diskriminierung, in der höheren Gesundheitsbelastung sowie im höheren Arbeitslosigkeitsrisiko von Zugewanderten im Vergleich von Menschen ohne Migrationsgeschichte vorgestellt und diskutiert.
Eine Stärke des Buches ist seine Multidisziplinarität. Zwei politische Argumentationsstränge tauchen dabei immer auf: Politikansätze zur Anwerbung und Steuerung der Arbeitszuwanderung, die sich nach den Bedürfnissen und Möglichkeiten des Arbeitsmarktes des Aufnahmelandes orientieren. Und Migration und Arbeit können nur dann in einem produktiven Verhältnis stehen, wenn sie mit umfassenden Integrations-und Teilhabebedingungen Hand in Hand gehen.
Denn erfolgreiche Zuwanderung hänge nur randständig von der konkreten Migrationspolitik ab, sondern vielmehr von Berufschancen für Partner und Partnerinnen, von Bildungseinrichtungen für Kinder, von der Gesundheitsversorgung, ja insgesamt von der zu erwartenden Lebensqualität.
Dieses Buch, reich an Einblicken in wissenschaftliche Literatur und empirische Studien, sollte eine Inspiration für alle sein, die für die politische und wirtschaftliche Gestaltung verantwortlich sind.
Die Rezensentin Sieglinde Rosenberger ist Politikwissenschaftlerin an der Universität Wien. Zuletzt von ihr erschienen: "Ich wollte auf Urlaub und nicht als Geflüchtete nach Österreich kommen. Vertriebene Ukrainerinnen in Wien"