

Wer Fragen stellt, muss sterben
Christina Vettorazzi in FALTER 42/2023 vom 20.10.2023 (S. 6)
Engelhartskirchen wirkt wie ein gewöhnliches Dorf – auf den ersten Blick zumindest. Denn in der oberösterreichischen Provinz ist nichts, wie es scheint. Es gibt dort zwar einen Supermarkt, eine Post und eine Dorfdisco, aber kaum noch Ehemänner. Die meisten Frauen sind verwitwet, wie Anna Maria feststellt, als sie mit ihrer neuen Eroberung Hannes von Berlin nach Engelhartskirchen zieht. Es dauert nicht lange, bis sie erfährt, dass die toten Männer Gewalttäter waren und die Frauen sich hier in Selbstjustiz üben.
„Männer töten“ ist das Romandebüt der gebürtigen Oberösterreicherin Eva Reisinger (Jg. 1992), die als Österreich-Korrespondentin für ze.tt, das junge Medium der deutsche Wochenzeitung Zeit, geschrieben hat. Auf die Idee zu ihrem Roman kam die Autorin im Zuge ihrer Recherchen über Frauenmorde. Als sie ihr eigenes Feature betrachtete, war sie allerdings selbst genervt: Das sei doch alles schon so oft geschrieben worden, befand sie und begab sich auf die Suche nach einer neuen Form.
Die Stadt Wien hat Reisinger mit einem Startstipendium für Literatur ausgezeichnet; eine Nominierung für den Österreichischen Buchpreis in der Kategorie Debüt folgte. Kein Wunder: Der Text ist durchkomponiert, der Humor passt auch, und vor allem gibt es diese herrliche Doppelbödigkeit, die sich besonders am Höhepunkt der Handlung offenbart – als ein Fremder Anna Maria einen Besuch in Engelhartskirchen abstattet.
Der Mann trägt die Branchenkombi Jeans und Blazer – ein Journalist. Mit schon etwas alten Welpenaugen konfrontiert er Anna Maria am Küchentisch mit seinen Recherchen. Weil sich die Polizei um den verdächtigen Männerschwund nicht kümmere, sei nun er hier: „Ich glaube, nein, ich weiß, Sie haben ihn ermordet und ich werde es beweisen.“
Anna Maria reagiert drastisch. Ihre Freundin Sabine kommentiert die Situation trocken: „Nicht ideal.“ An dieser Stelle liefe die bis dahin so packende Geschichte Gefahr, ins Lächerliche zu kippen, wäre der Roman nicht gebaut wie ein guter „Tatort“ und mit einschlägigen Hinweisen versehen: Dem türkisen Geschirr in der Küche gilt das Augenmerk der Erzählerin ebenso wie einer Frau, die beim Apfelessen um einen braunen Fleck herumkaut.
Auf den ersten Blick wirkt „Männer töten“ wie ein engagierter Roman, der den Umgang mit Femiziden anprangern möchte. Es gibt freilich hinreichend Indizien dafür, dass es ihm auch um den Angriff auf Pressefreiheit und auf die Demokratie geht.