

Sebastian Fasthuber in FALTER 13/2012 vom 30.03.2012 (S. 36)
Karl trifft Kafka, und Klara May ist auch dabei
Erst in seinen späten Jahren brach Karl May auf, um einige der Gegenden, die er mithilfe seiner Bibliothek und seiner Fantasie zuvor in seinen Büchern schon so eindringlich imaginiert hatte, auch mit eigenen Augen zu sehen. Er ging gewissermaßen auf eine Rehabilitierungstour, nachdem ihn die deutsche Presse am Gipfel seines Erfolgs als angeblichen Schwindler entlarvt und in eine tiefe Krise (sowie eine Reihe von Prozessen) gestürzt hatte. Die Reisen waren eine Enttäuschung – sowohl der Orienttrip in den Jahren 1899/1900 als auch die Amerikareise von 1908. Es scheint, als hätten sie den Autor eher gelähmt als beflügelt. Verständlich: Er kannte das alles ja ohnehin schon von seinen Expeditionen im Schreibzimmer.
Peter Henisch hat vor 20 Jahren eine nun wiederveröffentlichte, sehr schöne literarische Fantasie darüber verfasst, wie May und seine zweite Ehefrau Klara auf dem Schiff von Bremerhaven nach New York auf einen jungen Mann namens Franz Kafka treffen. Die Mays reisen unter dem Namen Burton, lüften für den verstört und etwas verstockt wirkenden jungen Mann aus Prag, der sie schnell zu faszinieren beginnt, jedoch ihr Inkognito. Karl May interessiert sich für den so gänzlich anderen Zugang Kafkas zum Schreiben (wobei es ihm im Zweifelsfall doch nur darum geht, seinen eigenen wortreich zu rechtfertigen), Klara May interessiert sich durchaus auch körperlich für den schmalen Jüngling.
Kafka will zunächst gar nichts mit den beiden zu tun haben, und stolpert doch – beinahe slapstickhaft – in eine merkwürdige Dreiecksbeziehung. Diese gipfelt in einer Séance mit anschließendem Beischlaf von Klara und Franz, den Karl jedoch kaum bemerkt, so sehr ist er in eine seiner Selbstrechtfertigungsansprachen vertieft. Bei der Ankunft in New York läuft man sich wieder über den Weg und ist doch ein wenig zerknirscht. Ob man sich im Amerika wiedersehen werde, meint Klara in einem kleinen Vorstoß noch kokett. Kafka geht freilich nicht von Bord, seine Spur verliert sich irgendwo in den Gängen des Schiffes und zwischen den Zeilen. Das schönste Buch, das man zu Karl Mays 100. Todestag lesen kann.