

Foxy Lady
Karin Cerny in FALTER 11/2020 vom 11.03.2020 (S. 16)
In Elisabeth Klars Roman „Himmelwärts“ erkundet eine als Mensch verkleidete Füchsin die Wiener Schwulenszene
Profan betrachtet ist Sylvia, die Hauptfigur aus Elisabeth Klars jüngstem Roman „Himmelwärts“, eine klassische „Fag Hag“. Sie ist hetero, hängt aber am liebsten mit schwulen Männern im titelgebenden Club ab, in dem Drag-Shows zum fixen Programm gehören. Wobei Himmelwärts keine sonderlich glamouröse Gay-Bar ist, eher ein Auffangbecken, in dem jeder seinen Platz findet. Den Queens entgeht zwar nicht, dass Ronaldo kein Mieder unter dem Kleid trägt und man seinen Bauch sieht, aber eigentlich hält man hier zusammen. Man ist eine große Familie, in der auch Sylvia ihren Platz findet.
Aber schon von Beginn an mischen sich surreale Momente in die Beschreibungen. Sylvia schnuppert gern an ihren Freunden, bemerkt, dass der schmächtige Jonathan wie ein Huhn riecht.
Am Donaukanal, wo es Mäuse, Eichhörnchen, Biber und Marder gibt, muss sie sich zusammenreißen, um ihren Jagdtrieb nicht auszuleben. Denn eigentlich ist Sylvia eine Füchsin, die sich eine Menschenhaut übergezogen hat. Die ist auf einer Wäscheleine gehangen und bietet Schutz, denn als Mensch kann Sylvia in einer Wohnung untertauchen, die sie als „Bau“ bezeichnet. Als Füchsin hat sie einige Schicksalsschläge einstecken müssen. Ihr Partner wurde überfahren, ihr Lebensraum geriet durch den Bau einer Straße zunehmend in Gefahr.
Es ist ein Kunststück, wie es Elisabeth Klar gelingt, Realistisches und Fantastisches zu verbinden, ohne, dass es peinlich oder aufgesetzt wirken würde. Das liegt auch daran, dass die Autorin mit „Himmelwärts“ einen doppelbödigen, aber ganz ernsthaften politischen Roman geschrieben hat, der davon erzählt, wie ungeschützt man sich als Außenseiter – sei es als Homo- oder Transsexueller, als Geflüchteter oder als Tier – in einer zunehmend unwirtlich werdenden Umwelt fühlt, in der die Räume für Nichtangepasste systematisch verschwinden.
Neben dem Rechtsruck in Österreich geht es auch um ein umstrittenes Staudammprojekt in Brasilien, wohin Jonathan seinem transsexuellen Schwarm Feo folgt, um den Zwangsprostituierten vor Ort zu helfen. Homophobie steht in Altamira auf der Tagesordnung, auch Jonathan und Feo werden zusammengeschlagen, obwohl Letzterer wieder in seine alte Rolle als Frau geschlüpft ist, um ja nicht aufzufallen.
Die Figuren in Klars Roman engagieren sich politisch, jobben für Hilfsorganisationen, müssen aber miterleben, wie ihre Arbeit von staatlicher Seite sabotiert wird. Sie sind es müde, auf die Straße zu gehen. Jonathan, der nach seiner deprimierenden Zeit in Brasilien wieder nach Wien zurückkehrt, findet bei Sylvia in deren winziger Wohnung Unterschlupf. Es wachsen ihm Flügel, die im Spital hartnäckig als Tumor bezeichnet werden.
Elisabeth Klar, 1986 in Wien geboren, gilt seit „Wie im Wald“ (2014) als Expertin für Geschichten, in denen Märchen ein zeitgemäßes Update verpasst bekommt, in denen die Grenzen zwischen Tier und Mensch verschwimmen.
So poetisch Klars Sprache auch ist, bereits in ihrem Debüt ging es um Mord und Missbrauch. In „Wasser atmen“ (2017) erzählte sie von zwei Frauen und einem dunklen Geheimnis. Sukzessives Abdriften, den Halt im Leben zu verlieren, sind zentrale Themen, die auch in „Himmelwärts“ erstaunlich direkt und sogar chronologisch erzählt werden, was bei Klar keineswegs selbstverständlich ist. Der Roman legt nahe, dass es viele Mensch-Tier-Wesen wie Sylvia gibt und ist auf diese Weise auch eine Reflexion über brüchige Identitäten, über Lebewesen, die in kein Schema passen.
Wenn Jonathan von seinen Erfahrungen in Brasilien erzählt, erinnert das allerdings ein wenig an einen Wikipedia-Eintrag, obwohl die Autorin über das Belo-Monte-Wasser-Kraftwerk persönlich recherchiert hat. Überzeugender ist, wie die Mutlosigkeit und Erschöpfung der Protagonisten verhandelt wird. Wie soll man den Willen, etwas zum Besseren zu verändern, aufrechterhalten, wenn man mitansehen muss, wie ständig alles schlechter wird? Ein böses Märchen, das leider allzu real ist.