

Habsburgs schmutziger Weltkrieg
Thomas Leitner in FALTER 8/2015 vom 20.02.2015 (S. 17)
Österreichs Kriegsführung im Ersten Weltkrieg wird bis heute verniedlicht. Das ist grundfalsch
Ein Historikerteam brachte gegen Ende des Gedenkjahres 2014 einen wichtigen Beitrag zur Geschichte des Ersten Weltkriegs heraus. Wichtig deshalb, weil er Lücken schließt.
Der Erste Weltkrieg wird in dem Werk "Habsburgs schmutziger Krieg" als erste Katastrophe des 20. Jahrhunderts in den Blickpunkt gerückt:
Die Dämme der Humanität und Zivilisation brachen in einer Weise, dass die Welle der Barbarei sich danach nicht mehr bändigen ließ. Zwei der Autoren, Hannes Leidinger und Veronika Moritz, haben zuvor bereits beim "Schwarzbuch der Habsburger" zusammengearbeitet.
Der späte Veröffentlichungszeitpunkt des Werkes hat Vorteile: So werden neueste Vorgängerpublikationen bereits eingearbeitet und repliziert, manche Thesen ohne Polemik, aber doch in aller Deutlichkeit, zurechtgerückt (etwa Clarks These der "geteilten Kriegsschuld").
Der ausführliche Anmerkungsteil und die selbstreflektierend-methodische Einleitung lassen zunächst wissenschaftliches "Trockenfutter" erwarten. Doch den Autoren gelingt es, ihre Themen (Verantwortlichkeit für den Kriegsausbruch, Gewalteskalation, Besatzungspolitik, Kriegsrecht, Propaganda) von unterschiedlichen Ansätzen her in einem einheitlichen, gut lesbaren Stil darzustellen.
Der Glaube an die Gottgefälligkeit der k.u.k. Bürokratie und die Überzeugung von kultureller Überlegenheit gegenüber den zu verwaltenden Völkerschaften hatten die Habsburger-Monarchie zu Beginn des 20. Jahrhunderts in eine Haltung getrieben, die als "Ersatzkolonialismus" bezeichnet werden kann. So ging Wien durchaus sehenden Auges in eine Auseinandersetzung, die man wohl gerne lokal, in der "eigenen" Einflusssphäre gehalten hätte, die aber offensichtlich dazu geeignet war, in einem Flächenbrand zu enden.
Konfrontiert war die österreichische Heeresleitung mit einem Gegner, der, militärisch unterlegen, zu Mitteln der Guerilla griff, die wir aus aktuellen, heute "asymmetrisch" genannten Konflikten kennen. In Reaktion darauf sah sich die Militär- und Zivilverwaltung schnell aller Einschränkungen des gerade aufkommenden Kriegsvölkerrechts entbunden.
Der Zivilbevölkerung wird, wenn schon nicht grausam, so doch rücksichtslos begegnet. Paranoia richtet sich sogar gegen große Teile der eigenen Bevölkerung, "Spionitis" wird zum allgemeinen Wahn, Kampf gegen alle "Russophilen" zum Programm.
Diese Gesamtdarstellung ergibt eine nachhaltige Korrektur des immer noch geschönten Bildes des k.u.k. Staates.
Besonders irritierend, dass eine große Zahl von Massakern und anderen Kriegsverbrechen nicht auf Gewaltexzesse Einzelner beruhte, sondern systematisch bedingt war.
In manchen Punkten geht die
politische Brisanz des Dargestellten weit über die damalige Zeit hinaus. Etwa wird deutlich, wie sehr die ethnischen Auseinandersetzungen am Balkan bis heute mit ganz ähnlichen Frontstellungen aktuell geblieben sind.
Verhängnisvoll auch, dass Entwicklungen wie die Errichtung von Lagern die Schreckensbilder des Zweiten Weltkriegs bereits rudimentär vorwegnahmen. Noch aktueller sind die Assoziationen, die sich einem fast aufdrängen, wenn man im Werk beobachtet, wie die kollektive Verdächtigung ganzer Bevölkerungsgruppen neue Eskalation entstehen lässt.