

Heute bin ich nur im Handy
Kirstin Breitenfellner in FALTER 42/2024 vom 18.10.2024 (S. 29)
Michael Hammerschmid, geboren 1972 in Salzburg, kann man getrost als einen hochdekorierten Autor von Gedichten für Kinder bezeichnen. Für seinen Band „wer als erster“ erhielt er 2022 den Kinder- und Jugendbuchpreis der Stadt Wien und 2023 den Österreichischen Kinder- und Jugendbuchpreis, für „stopptanzstill!“ den Österreichischen Kinder- und Jugendbuchpreis 2024.
Entsprechend hoch hängen die Erwartungen für seinen neuen Band „was keiner kapiert“ mit Gedichten, die sich erstmals ausschließlich an Jugendliche wenden. Und man kann sagen, dass diese von den Texten noch übertroffen werden. Dabei scheint es viel schwerer, für Dreizehnjährige zu schreiben als für Vier- bis Zehnjährige. Oder trügt dieser Eindruck, weil Erwachsene der Unsicherheit und der Melancholie von Pubertierenden doch näher sind als der Unbeschwertheit und Neugier von Kindern?
Hammerschmid jedenfalls gelingt das Kunststück, an sich selbst und der Welt verzweifelnde Heranwachsende (und Erwachsene, die solche geblieben sind) mit seinen zarten, tiefgründigen Versen wenn nicht aufzumuntern, so doch zu umschmeicheln.
Dabei geht er mutig auf die Lebenswelt der Jugend ein, die von einem anscheinend unlyrischen Instrument beherrscht wird: dem Handy. „singlesong“ heißt das erste Gedicht, und der Titel bezieht sich nicht auf einen Beziehungsstatus, sondern auf einen Tag ohne Handy.
„mein handy ist ein / bienenstock für heute / lass ihn sein“. Aber das lyrische Ich will auch sonst niemanden sehen: „heute ist ein langer / tag an dem ich niemand / sehen mag / ich bleibt heut allein / allein / alleinallein / allein“, trällert es weiter.
Ein anderes Gedicht singt dem mobilen Endgerät hingegen ein Loblied und beginnt mit den Zeilen: „heute bin ich nur / im handy heute / bin ich gar nicht / da heute bin ich bildlich / heute bin ich / virtuell heute / bin ich ohne mich / im internet / doch super- / schnell“. Ja, das Handy kann einen auch von sich selbst befreien!
Die Texte sind schmal und nie mehr als eine Seite lang. Flankiert werden sie von heiter-ironischen Illustrationen der Niederösterreicherin Barbara Hoffmann, Jahrgang 1985, die für ihr letztes Bilderbuch „Alles, was gesagt werden muss“ gleich zweifach ausgezeichnet wurde.
Die durchgängig in Blitzblau gehaltenen, bisweilen ins Abstrakte driftenden Bilder verschmelzen mit den elegant gesetzten Texten in verschiedenen Schriften und Schriftgrößen zu einem Gesamtkunstwerk, in dessen ins Fröhliche tendierenden Blues man gerne eintaucht.
„jemand der nichts zu werden verspricht“ ist ein Gedicht übertitelt, das sich mit dem Druck auseinandersetzt, jetzt schon zu wissen, was man später einmal werden will. Es beginnt schon einmal großartig: „ICH WEISS NICHT / WAS ICH WERDEN SOLL / TOLL JEMAND MIT GELD / JEMAND MIT GLÜCK / JEMAND MIT COOL / JEMAND VERRÜCKT / JEMAND VIELLEICHT / DEMS JETZT SCHON / REICHT“
In ihm ist auch die titelgebende Zeile enthalten: „JEMAND DER LERNT / WIE MAN VERLERNT / DER NUR STUDIERT / WAS KEINER KAPIERT“. Der übermütige Text endet mit den Worten: „JETZT WEISS ICH / WAS ICH WERDEN SOLL // VOLL!!!“
Das Adjektiv, das heutigen Jugendlichen oft als Füllwort dient, das oft andeutet, dass man nicht weiß, wie man etwas nennen soll, gewinnt hier einen doppelten Boden – und bedeutet sowohl die Kapitulation vor der Lebensaufgabe Selbstfindung als auch – wortwörtlich – deren Erfüllung.
Auch die Menschheitskonstante Krieg, die Jugendliche derzeit aus allen Medien anspringt, wird hier nicht ausgespart. „der krieg fetzt / in mich / der bildschirm / zerfetzt / ich bin nach / außen unverletzt“, beginnt ein Gedicht.
Und natürlich darf hier der Schulalltag mit seinem Fleißigseinmüssen und Faulseinwollen nicht fehlen. „ich soll latein / ich soll sitzen“ hebt das Gedicht mit dem Titel „beschissen“ an – und endet mit einem zehnmaligen emphatischen Nein.
Hammerschmid liebt Zeilensprünge, er setzt behutsam Neologismen. Sein Rhythmus lässt manchmal an Rap denken, und zwischen den Worten und Sätzen lassen sich so viele Zwischentöne vernehmen, dass man wünscht, dass diese Lyrik nie aufhört. Oder mit einem neuen Band fortgesetzt wird