

Von Terrorismus und anderen Ereignissen
Michael Weiss in FALTER 4/2010 vom 29.01.2010 (S. 17)
Sobald das Wort Terrorismus fällt, flammen im Kopf unweigerlich die Bilder des einstürzenden World Trade Center vom 11. September 2001 auf. "Das ganze Spiel der Geschichte und der Macht ist über den Haufen geworfen, doch auch die Bedingungen der Analyse. Wir müssen uns Zeit nehmen", schrieb damals Jean Baudrillard. Der österreichische Historiker und Publizist Thomas Riegler hat sich diese Zeit und 600 Seiten genommen, um in "Terrorismus. Akteure, Strukturen, Entwicklungslinien" zu einem "besseren Verständnis für die Komplexität und Vielschichtigkeit dieses Phänomens beizutragen."
Die Komplexität beginnt schon beim Begriff Terrorismus. Akte, die im weitesten Sinn als terroristisch zu bezeichnen sind, gab es im Verlauf der Geschichte in den verschiedensten Formen und Zusammenhängen. Nicht zuletzt sei das, was als Terrorismus bezeichnet wird, aber entscheidend davon abhängig, von wem die jeweilige Bezeichnung stammt, so Riegler. Er selbst räumt also der begrifflichen, historischen, soziologischen und ideengeschichtlichen Einordnung des Phänomens im ersten großen Teil seiner Analyse viel Raum ein.
Anschließend widmet sich Riegler den Folgen terroristischer Akte auf medialer und auf politischer Ebene. So werden zunächst die wechselseitigen Beziehungen zwischen terroristischen Akten und ihrer Darstellung in den Massenmedien sowie im Film abgehandelt, ehe im letzten Teil detailliert die Analyse unterschiedlicher Antiterrormaßnahmen Platz findet. Riegler stellt fest, dass militärische Antiterrorstrategien wie die Libanon-Offensiven Israels oder der amerikanische "War on Terror" nie in der Lage gewesen seien, das Problem an der Wurzel zu fassen. Solange man sich nicht auf das Niveau der Terroristen begeben wolle, so die These, sei eine langfristige militärische Lösung unmöglich. Und selbst wenn man dazu bereit sei – wie beispielsweise die USA in Guantánamo oder Abu Ghraib –, führe das kaum zum Erfolg, sondern eher zu noch mehr gewollter Aufmerksamkeit für die Terroristen und zu einer "Spirale der Gewalt".
Der Lösungsansatz liegt angesichts dessen für Riegler in nichtmilitärischen Gegenstrategien. Man müsse im "Westen" erkennen, dass der Terrorismus keineswegs aufgrund realitätsferner Ideologien und unabhängig vom eigenen Handeln und den mitunter daraus entstehenden Missständen passiere. Riegler plädiert dementsprechend für das vielzitierte globale Voranbringen der Demokratie, das realpolitisch mit dem "War on Terror" keineswegs umgesetzt würde. Zwar sei auch dieser Weg keine Garantie für ein "Verschwinden" des Terrorismus, die wichtige Möglichkeit der Rechtfertigung würde ihm aber entzogen.
Mit seinem Buch legt Thomas Riegler zweifellos jene umfangreiche und ausführliche Analyse vor, deren Fehlen in der deutschsprachigen Terrorismusforschung er in seiner Einleitung beklagt.
Für die zugrunde liegende Dissertation wurde der Autor deshalb auch 2008 mit dem Theodor-Körner-Förderungspreis ausgezeichnet. Das Werk bietet angesichts seiner Dichte kein leichtverdauliches Lesevergnügen, und auch bahnbrechende Erkenntnisse werden darin nicht vorgelegt. Als Einstiegslektüre mit Tiefgang taugt es aber allemal. Wenn danach der Begriff Terrorismus fällt, jagen einem jedenfalls weit mehr Bilder durch den Kopf als bloß das einstürzende World Trade Center.