

Die Macht und die Masse
Johann Skocek in FALTER 18/2014 vom 30.04.2014 (S. 36)
Die Meldung kam wie bestellt: Der FC Schalke 04 wurde von Russlands Präsident Wladimir Putin nach Moskau eingeladen. Nicht weil Putin Schalke-Fan ist, sondern weil der russische Staatskonzern Gazprom um viel Geld auf den Leiberln der Mannschaft wirbt. Und jetzt will Putin offenbar auch etwas davon haben. Die Reise zum großen Gönner rief viel Kritik über die "Instrumentalisierung des Fußballs" hervor.
Wie das funktioniert, ist in einem neuen Buch von Wissenschaftlern der Universität Graz und des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Kriegsfolgenforschung nachzulesen: "Fußball, Macht und Diktatur" behandelt das immer wieder aktuelle Thema der Indienstnahme des Massenspektakels Fußball für Herrschaftssysteme, Diktatoren und Oligarchen.
Zwar machen das Demokratien genauso unverschämt, siehe das Einspannen des ÖFB-Teams für das Wohlfühlklima in Österreich. Doch bei Diktaturen beurteilt man das zu Recht strenger.
Seinen Ausgang nahm das Projekt 2012 in der Steiermark, indem die Beziehungen zwischen der Nazi-Diktatur und den populären Vereinen Sturm Graz und GAK unter die Lupe genommen wurden. Der GAK gilt bis heute als Kern der Kollaboration in Graz, das seit Juli 1938 den NS-Ehrentitel "Stadt der Volkserhebung" trug.
Dort seien die Nazi-Anhänger etwas eifriger gewesen als anderswo in Österreich, lautete sinngemäß die Kernaussage. Im Gegensatz dazu wird Sturm Graz naiverweise immer noch als der "unpolitische Klub" missverstanden. Beide Zuschreibungen stimmen so nicht, zeigen die Analysen in dem Buch.
Ein Verein oder eine Institution kann mit einer Rollenbeschreibung, einer Haltung oder einem Erinnerungsbild nur unvollständig – oder tendenziös – beschrieben werden. Das zeigen auch seit längerem vergleichsweise gut ausgeleuchtete Felder wie die Geschichte des SK Rapid und der Wiener Austria während der NS-Diktatur.
Kein Verein war bloß Opfer oder Täter. Illegale Nazis wie der Wunderteam-Läufer Johann Mock und der von jüdischen Exilanten wie Friedrich Torberg und Alfred Polgar zum Widerstandskämpfer hochstilisierte Matthias Sindelar spielten gemeinsam in einem Nationalteam und bei der Austria.
Wie nahe und fern zugleich diese Zeit heute noch ist, zeigt die aktuelle Sonderausstellung im Rapideum, dem kleinen, vorzüglich orchestrierten Museum des SK Rapid. Die Schau ist dem Lebenswerk von Alfred Körner, Jahrgang 1926, gewidmet, der mit der Rapid sieben Mal Meister wurde und der erfolgreichsten Mannschaft Rapids aller Zeiten angehörte.
Der Linksaußen "Körner II", wie er in Anspielung an seinen großen Bruder Robert genannt wurde, war einer der engsten Freunde des wichtigsten Rapidkickers der vergangenen zwei Jahrhunderte, Ernst Happel. Beide spielten im Nationalteam, das bei der WM 1954 in der Schweiz Dritter wurde. Teamchef war der frühere Austrianer und Kapitän des Wunderteams, Walter Nausch. Als die Deutschen unter Adolf Hitler im März 1938 in Österreich einmarschierten, boten sie Nausch an, Nationaltrainer des neuen Gaus Ostmark zu werden. Er müsste sich halt von seiner Frau, einer Jüdin, trennen. Nausch lehnte ab, das Ehepaar emigrierte in die Schweiz und kehrte nach dem Krieg zurück.
Der Historiker Matthias Marschik zitiert in "Fußball, Macht und Diktatur" den österreichischen Fußball-Nationaltrainer Edi Frühwirth (1940er- bis 1960er-Jahre): "Burschen, das geht uns nichts an." Nämlich die politischen und alle anderen Verhältnisse im NS-Staat, ausgenommen das Fußballspielen.
Der deutsche Hohepriester der Volksverblödung, Franz Beckenbauer, sagte kürzlich nach einem Ausflug nach Katar, wo nach Angaben des Internationalen Gewerkschaftsbunds ungewöhnlich viele Arbeiter auf den Baustellen für die Fußballweltmeisterschaft 2022 sterben, er habe dort "keinen einzigen Sklaven rumlaufen" sehen.
Wladimir Putin befindet sich übrigens in guter Gesellschaft, wenn er Kicker für sein Image nutzt. Der Vizedirektor des Moskauer Staatsarchivs für Zeitgeschichte, Michail Prozumenszikov, erzählt in seinem Buchbeitrag von der Nutzung des Fußballs zu Zeiten des sowjetischen Diktators Joseph Stalin und seines Nachfolgers Nikita Chruschtschow. "Er war wie der gesamte Sport ein Vehikel, die Überlegenheit der UdSSR darzustellen", sagt Prozumenszikov.
Da hat sich freilich Entscheidendes geändert. Putin setzt jetzt dafür einen ausländischen Verein ein. Und er wird dafür sorgen, dass in Deutschland zumindest auf Schalke niemand vom Gas steigen muss.