

Wenn die Schule zu einer Frage des Geldes wird
Heidi Schrodt in FALTER 21/2014 vom 23.05.2014 (S. 23)
Das neu überarbeitete "Handbuch Armut" dokumentiert eindrucksvoll, wie sehr Bildungsarmut in Österreich Chancen raubt
Seit den 1980er-Jahren nimmt Armut auch in der westlichen Welt kontinuierlich zu, und die Ungleichverteilung innerhalb der einzelnen Nationalstaaten wächst an. Auch bei uns hat die Armut den Mittelstand erreicht. In diesem Zusammenhang ist auch das "Handbuch Armut Österreich" zu sehen, das 2009 erstmals erschienen ist und nun in zweiter, völlig überarbeiteter und erweiterter Auflage vorliegt.
Einige einschneidende Änderungen haben seit der Erstauflage stattgefunden und sind in die Beiträge des Sammelbandes eingeflossen. Das sind die Weltwirtschafts- und Finanzkrise, die Zunahme atypischer und niedrig entlohnter Arbeitskräfte sowie die ansteigende Polarisierung von Einkommen und Vermögen.
Die insgesamt acht Kapitel beschäftigen sich mit den Grundlagen sozialer Ungleichheit in Österreich, über Ursachen, Faktoren und Erscheinungsformen bis zu Bewältigungsstrategien.
Dazu findet sich ein kritischer und aufschlussreicher Beitrag von Nikolaus Dimmel zu Spendenwirtschaft, Sponsoring und Social Entrepreneurship.
Einige Beiträge beschäftigen sich mit räumlichen Fragen der Armut, gemeinnützigem Wohnbau oder der Wohnbauförderung. Interessant ist in diesem Zusammenhang der Beitrag des Stadtsoziologen Jens Dangschat, der das hierzulande sowohl in der Forschung als auch in der Kommunalpolitik favorisierte "Durchmischungsmodell" beschreibt, das eine gemischte soziale Zusammensetzung der Wohnbevölkerung als ein wesentliches Moment in der Armutsbekämpfung sieht.
International wird dies allerdings immer häufiger mit Skepsis betrachtet. Toronto etwa unterstützt das Leben in Wohngebieten von Zuwanderern, allerdings bei gleichzeitiger Verknüpfung von Staatsbürgerschaft und Geburtsort sowie durch eine Fülle von Maßnahmen, die der Diskriminierung auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt sowie im Gesundheits- und Bildungsbereich entgegenwirken sollen.
Jedenfalls lässt sich nicht aufrechterhalten, dass ethnisch homogene,
in sich geschlossene Bevölkerungsgruppen innerhalb einer Großstadt per se armutsfördernd sind. Auch
sogenannte "soziale Brennpunkte" entstehen nicht in erster Linie aufgrund fehlender Durchmischung. Die Zusammenhänge sind komplexer. Dem Faktor Bildung kommt
im Kontext der Armutsthematik schon seit einer Weile immer größere Bedeutung zu. Seit uns vor zwei Jahrzehnten die ersten großen internationalen Bildungsstudien einen ernüchternden Befund von den Zusammenhängen zwischen Bildung und Armut lieferten, ist die Problematik bekannt.
Faktor Kinderarmut
Verändert hat sich seither leider nichts, und das kommt auch in den Beiträgen in diesem Handbuch zum Ausdruck. Im Gegenteil: Die Anzahl der armutsgefährdeten oder armen Kinder und Jugendlichen ist im Steigen. Man bedenke: Ein Viertel der Armutsgefährdeten in Österreich sind Kinder und Jugendliche. Über Jahrzehnte hinweg gibt es, nicht nur in Österreich, kohärente Risikogruppen für arme Kinder: Alleinerzieher, Migranten, Mehrkinderfamilien.
Da Kinder nur minimale Einflussmöglichkeiten auf ihre Lebenslage haben, unterscheiden sich Kinderarmut und Armut von Erwachsenen substanziell. Kinderarmut heißt nicht nur materielle Armut, sondern bedeutet auch beschränkte kulturelle Kontakte und soziale Isolierung, aber auch Stigmatisierungserfahrungen und erhebliche Einschränkungen in den Alltags- und Freizeitpraktiken.
Mit den immer gravierender zutage tretenden Problemen von Bildungsarmut und Bildungsbenachteiligung beschäftigt sich Peter Schlögl. Hierzulande zeigen sich an den Schnittstellen von Bildungswegsentscheidungen, also an der vierten und fünften sowie an der achten, neunten und zehnten Schulstufe signifikante Unterschiede je nach sozioökonomischem Hintergrund des Elternhauses. 70 Prozent der armutsgefährdeten Kinder besuchen etwa eine Hauptschule und nur 30 Prozent eine AHS.
Was an diesem Sammelband besticht, ist nicht nur die Fülle an Informationen, die große Sachkenntnis, sondern vor allem auch die verblüffend gute Lesbarkeit, die die komplexe Thematik allen interessierten Laien leicht zugänglich macht.