

Some like it cold
Julia Kospach in FALTER 48/2015 vom 27.11.2015 (S. 46)
Echte Wintergärtner ernten Gemüse in der kalten Jahreszeit, ganz ohne zu heizen. Wolfgang Palme weiß, wie
Sehr viele Gemüsesorten sind viel frostfester, als es in den Lehrbüchern steht“, sagt Wolfgang Palme, bückt sich, zupft an diesem schönen Novembermorgen aus einem schiffchenförmigen Gemüsebeet, dessen Einfassung aus geflochtenen Weidenzweigen besteht, ein paar Blutampferblätter ab und reicht sie zur Verkostung weiter.
Wolfgang Palme ist Agrarwissenschaftler und leitet an der Höheren Bundeslehr- und Forschungsanstalt für Gartenbau Schönbrunn die Abteilung für Gemüsebau. Außerdem ist er Mitbegründer des Vereins „City Farm Schönbrunn“, des ersten „Children’s Garden“ in Wien, der seit 2012 mit seinen Workshops für angewandte Gärtnerei jährlich rund 4000 Schüler, Kindergartenkinder und auch Erwachsene auf die vom Verein gepachteten Flächen der Kammermeierei Schönbrunn lockt.
Auf dem zauberhaften Areal oberhalb von Tirolergarten und Gloriette, auf dem zu K.-u.-k.-Zeiten Kaiserin Sisis Kühe, Ziegen und Schafe weideten, garteln heute Kleine und Große handfest drauflos und lernen dabei Wissenswertes über Themen wie Samengärtnerei, Wildkräuter, Blumenzwiebeln oder Nützlinge bis hin zu Kompost, Bienen oder „Blätter als grüne Wunderkraftwerke“.
Oder über Wintergemüse. Auch zu diesem Thema gibt es in der Zeit von Dezember bis März Workshops (siehe Marginalspalte). Wintergärtnerei, genauer gesagt: Gemüsegärtnerei im Winter, ist ein neuer Garten-Trend, und es ist gewiss nicht übertrieben zu sagen, dass Wolfgang Palme maßgeblich daran beteiligt war, diesen loszutreten. „Das ist in den letzten Jahren wirklich eine kleine Bewegung geworden“, sagt er. Auch den amerikanischen Vorreiter der Wintergärtnerei, Eliot Coleman, hat Palme vor Kurzem erstmals nach Österreich geholt.
Er war es auch, der die deutsche Übersetzung von Colemans „Handbuch Wintergärtnerei“ angeregt und dazu das Vorwort verfasst hat. Der 2014 im Innsbrucker Löwenzahn-Verlag erschienene Titel sei inzwischen auf dem besten Weg, „ein Klassiker der Gartenliteratur“ zu werden, sagt Löwenzahn-Programmleiterin Anita Winkler: „Der Erfolg des Buches basiert darauf, dass es den Traum jedes Gärtners wahr werden lässt: das ganze Jahr eigenes Gemüse anzubauen und zu ernten.“
Doch worum geht es genau? In geheizten Gewächshäusern auch winters Frischgemüse zu ernten ist ja gewissermaßen keine Kunst und ohnehin allgegenwärtig. Der neue Trend Wintergemüse zielt auf etwas anderes ab: nämlich auf Produktion und Verkauf von frischem Wintergemüse, das kultiviert wird, ohne dass dabei Heizkosten entstehen. Low-Input-Bio-Gemüse sozusagen.
Nicht, dass dafür das Rad neu erfunden werden müsste. Man muss nur beispielsweise an die Mistbeete früherer Tage denken, denen man heute kaum noch wo begegnet. „Gemüse auch über den Winter wachsen zu lassen ist ein altes Thema. Da wird verlorenes Wissen wiederbelebt – mit neuen technischen Hilfsmitteln wie ungeheizten Folientunneln“, erklärt Wolfgang Palme und fügt hinzu: „Moderne Forschung muss nicht immer hightech sein.“
Von November bis März, wo sonst in puncto Frischgemüse tote Hose herrscht, kann man dieserart reiche Ernte einfahren und hinterlässt noch dazu nur einen äußerst schmalen ökologischen Fußabdruck. Es geht auch um Nachhaltigkeit, Vielfalt und Saisonalität. Vor allem aber darum, das natürliche Potenzial von Gemüsepflanzen auszunützen, anstatt technisch immer mehr aufzurüsten. Und hier gilt eben: Some like it cold. Oder zumindest: Some don’t mind cold.
Asia-Salate standen am Anfang von Wolfgang Palmes Erkenntnissen zum Thema. „Asia-Salate, Kopfsalate, Eichblattsalate – sie alle kann man auch noch bei minus 10 Grad draußen oder im Folientunnel stehenlassen. Gute Belüftung und richtige Bewässerung sind bei Wintergemüse viel wichtiger als das Problem der Kälte. Man muss die Kulturen im Winter ganz trocken halten, weil man es sonst sofort mit Pilzerkrankungen zu tun bekommt.“
Seit acht Jahren schon laufen Wolfgang Palmes Wintergemüse-Forschungen an der gartenbauschuleigenen Versuchsstation Zinsendorf bei Melk. Mit gut und gerne 130 Gemüsesorten hat er bereits Wintererfahrungen. Er hat festgestellt, dass Paradeiserpflanzen auf Dämmen mit einer Mischung aus organischen Abfallmaterialien durch die entstehende Abbauwärme schon ab Februar und nicht erst ab April im ungeheizten Folienhaus ausgepflanzt werden können. Er weiß, dass sich Zichorienarten wie Zuckerhut oder Radicchio bei Kälte besonders gut bewähren, und hat im Februar knackfrische Babykarotten mit Grün geerntet, die extrasüß und zart sind.
Mittlerweile gibt es europaweite Forschungskooperationen und das Thema Wintergemüse hat Marktrelevanz bekommen – vor allem für kleine und mittlere Bio-Gemüsebauern, die ihre Ernte als Direktvermarkter auf Bauernmärkten oder über Abo-Gemüsekistln verkaufen. Gemeinsam mit „Bio Austria“ und 7-Bio-Gemüsebaubetrieben aus ganz Österreich wurde das Projekt „Wintergemüsevielfalt“ ins Leben gerufen.
Einige der Abo-Gemüsekistln des Adamah Biohofs aus dem niederösterreichischen Marchfeld, der in Wien und Umgebung zustellt, sind zum Beispiel mit frisch geernteten winterlichen Biogemüsen bestückt.
Besonders gilt das für die „Regional-Kistln“. Neben allerlei Lager- und Wurzelgemüse finden sich darin in den Wintermonaten auch Vogerlsalat, Rucola, Petersilie oder verschiedene Baby-Leaf- und köstlich senfig-scharfe Asia-Salate, die laufend in ungeheizten Folientunneln geschnitten werden.
Die gute Nachricht zum Schluss: Alles, was Profis in Sachen Wintergemüse-Kultur tun, kann man auch im eigenen Hausgarten oder in Töpfen auf Balkon und Terrasse machen. Wie das genau geht, lernt man am besten in einem von Wolfgang Palmes Workshops.
Winters Gärtnern
Armin Thurnher in FALTER 38/2014 vom 19.09.2014 (S. 16)
Eliot Coleman ist ein amerikanischer Biopionier, er war Skirennläufer und Extrembergsteiger. Er vergleicht Biobauern mit Bergsteigern; Bergsteigwissenschaftler gebe es nämlich nicht. Auch Biobauern halten sich an Erfahrungen, planen aber ihre eigenen Routen. Coleman hat die Route durch den Winter gewagt und gewonnen. Er baute Gewächshäuser für Gemüse, das es lieber kalt als warm hat, und er lernte von der Erfahrung vieler Vorgänger, zum Beispiel jener in der Stadt Paris, in Großbritannien oder den Niederlanden. Auf seiner Farm produziert Coleman erstklassiges Biogemüse das ganze Jahr über. Dazu kommt jene praktische amerikanische Ader, die gern Erfindungen macht und praktische Patente ausheckt. Mit all dem hält Coleman nicht hinter dem Berg. Obwohl sich sein Buch an Gärtnerprofis wendet, die es ernst mit Bio meinen und nicht bloß gesetzlichen Minimalanforderungen genügen, finden auch Kleingärtner sehr viele Tipps und Anregungen für ihre Praxis. Ein spannendes Buch.