

"Halt einfach mal die Fresse, sonst fick ich dich durch"
Wolfgang Kralicek in FALTER 38/2011 vom 23.09.2011 (S. 27)
Wo "Porno" draufsteht, ist selten Porno drin: Der einschlägige Rabenhof-Abend ist trotzdem eine angenehme Überraschung
Die Rezensentin der Presse fand den Abend "unbefriedigend". Das war zwar ein Gag, ist aber bezeichnend dafür, was das Reizwort "Porno" alles auslöst. Unter den Besuchern der Saisoneröffnungspremiere im Rabenhof war die Stimmung aufgekratzt wie im Mädcheninternat, wenn das neue Bravo durchgeblättert wird.
Die Wellen, die der "Porno"-Abend vorab geschlagen hatte, waren sogar der Rabenhof-Leitung etwas unangenehm, obwohl der sonst nichts so schnell peinlich ist. "Eine originelle Underground-Pimperlveranstaltung wurde hier von den Medien zu einer Handke-Premiere im Burgtheater hochgefahren", lässt Direktor Thomas Gratzer in einem auf die Bühne projizierten Insert wissen. "Von mir aus auch okay."
Das ist bereits Teil der Inszenierung. Regiedebütantin Ela Angerer, hauptberuflich Redakteurin der Kurier-Immobilienbeilage, lässt auch Marginalien aus der Vorbereitungszeit einfließen. Ein Woman-Interview mit einem Darsteller wird verlesen, und sogar eine Nachricht von Mama Angerer ("Habe alle Berichte über dich gelesen. Verzeih – bitte nicht beleidigt sein – aber das Kleid macht dich dick") wird zitiert.
Wer sich Live-Sex erwartet, wird naturgemäß enttäuscht. Wo Porno draufsteht, ist eben selten Porno drin. Um Sex geht's aber schon, mehr oder weniger. "Porno" ist die Begleitveranstaltung zu einem gleichnamigen Buch aus der Reihe "Moderne Nerven", die Ela Angerer im Czernin Verlag herausgibt. Zehn Autorinnen und Autoren schreiben darin übers "Vögeln, Wichsen, Schlagen, Küssen".
Zwei davon, Philipp Hochmair und Robert Palfrader, sind auch in der Bühnenversion dabei. Palfrader schrieb eine Liebeserklärung an die Selbstbefriedigung ("Letztendlich ist Sex mit einem Partner doch nur onanieren in jemanden"), Hochmair beschreibt in einem zwischen Traum und Wirklichkeit oszillierenden Text einen Puffbesuch. Noch besser aber ist er, wenn er die kranken Fan-E-Mails interpretiert, die die Burgschauspielerin Melanie Kretschmann im "Porno"-Buch veröffentlicht hat. Die sexuellen Fantasien anonymer Theaterbesucher ("Halt einfach mal deine Fresse sonst fick ich dich durch aufm Klo") sind die einzigen wirklich pornografischen Texte im Buch, und Hochmair macht eine tolle Rammelnummer daraus.
Die früher am Burgtheater engagierte Rampensau Hochmair ist die schauspielerische Hauptattraktion des Abends, am Schluss verteilt er im Publikum sogar Küsse. Seine Kollegen sind aber auch nicht schlecht. Manuel Rubey erzählt schön effeminiert eine lustige Exhibitionistengeschichte von Julya Rabinowich; Jaschka Lämmert begibt sich mit Barbi Markovic in deren Belgrader Wohnung und die frühen, äußerst unspektakulären erotischen Erfahrungen, die die Autorin dort machte.
Die Texte sind von unterschiedlicher Qualität. Der Sado-Maso-Dialog von Thomas Glavinic etwa ist schwach, und Joachim Lottmanns durchgeknallter Beitrag ("Es gibt kein Aids") wird auch in Robert Palfraders inbrünstiger Interpretation nicht besser. Bei der Inszenierung aber handelt es sich um den seltenen Fall einer Theateradaption, die besser als das Buch ist. Allein die Songs (Musik: Christopher Just) sind den Besuch wert: "Wo kommen all die Leute her? Vom Geschlechtsverkehr!"
Wer sich im Rabenhof einen geilen Abend erwartet, wird überraschenderweise also doch nicht enttäuscht.