

Den Linken zu rechts und den Rechten zu links
Florian Baranyi in FALTER 41/2017 vom 13.10.2017 (S. 45)
Verlagsporträt: Der Band „Stören“ feiert den 30. Geburtstag des Passagen Verlags mit unveröffentlichten Texten und Interviews
Zum runden Geburtstag des Passagen Verlags erscheint ein Sammelband, der die Geschichte des Verlags in unveröffentlichten Texten zugänglich macht. Im Vorwort erinnert Peter Engelmann an kontroverse Debatten rund um die frühen Passagen-Autoren wie Jacques Derrida und Jean-François Lyotard: „Den Linken war es zu rechts und den Rechten zu links, aber uns waren genau diese Kategorien, diese Denkkorsette zu eng.“
Derridas Denken polarisierte zeitlebens. Von Vertretern der analytischen Philosophie erntete er Obskurantismusvorwürfe, während zahllose Studien aus seinen Arbeiten wichtige Anregungen bezogen und beziehen. Lyotard war es vergönnt, einen Epochenbegriff einzuführen: Das Ende der Gewissheiten und der „großen Erzählungen“ der Moderne, die er in „Das postmoderne Wissen“ (1979) beschrieb, galt als identitätsstiftendes Moment für eine ganze Generation junger Leute, die sich zwischen Ironie, popkulturellen Zitaten und einem vagen „Anything goes“ als „postmodern“ verstanden.
In „Stören“ findet sich ein informatives Interview mit Derrida, in dem er einige seiner grundlegenden Gedanken zur Schrift und zur „Différance“ erklärt. Lyotard ist mit einem Gesprächsauszug vertreten, in dem er die Opposition „modern/postmodern“ kontextualisiert. In der Mitte des Bandes gibt es einen aktuellen Text der Schriftstellerin, Philosophin und Feministin Hélène Cixous zu lesen.
Die 80-Jährige war und ist eine der herausragenden Stimmen des Differenzfeminismus, seit sie 1975 mit ihrem Buch „Das Lachen der Medusa“ eine weibliche Form des Schreibens als Bejahung des unterdrückten weiblichen Begehrens und als politischen Akt forderte und gleich vorexerzierte.
Ihr großartiger, am dekonstruktivistischen Schreiben geschulter Erinnerungstext „Max und Moritz, et Ma Mère und dann kommt der Tod herbei“ ist konsequenterweise gleich dreimal abgedruckt, im französischen Original und zwei deutschen Übersetzungen. Der Text handelt davon, wie die Mutter mit deutschen Wurzeln der kleinen Hélène „unter der Macht des Krieges“ auf Deutsch Wilhelm Busch vorliest. Dabei ergänzen sich die beiden Übersetzungen und deuten auf die sprachliche Vielschichtigkeit des Originals hin, in dem das Springen zwischen den Sprachen Deutsch und Französisch zum Hauptthema wird:
„Meine Mutter, die ihn zum Pädagogen hatte, die nennt ihn Wilhelm Busch, in ihrer Sprache. In unserer Sprache heißt er Vilaine Bouche, Fiesmund. Was liegt in einem Namen?“ (Ester von der Osten)
„Den nennt meine Mutter, deren Pädagoge er war, in ihrer Sprache Wilhelm Busch. In unserer Sprache heißt er Vilaine Bouche: ungezogenes Mundwerk. What’s in a name?“ (Claudia Simma)
Cixous’ Text steht in diesem Band stellvertretend für die Arbeit des Übersetzens, Vermittelns und Kommentierens, die der Passagen Verlag seit 30 Jahren zwischen Französisch und Deutsch leistet, und erinnert gleichzeitig daran, wie komplex und spielerisch die Texte der poststrukturalistischen Autoren sind, die hier verlegt werden: „Mit meiner Mutter hieß ,übersetzen‘ immer nur, in außergewöhnlicher Freiheit springen, ich meine singen, nie in weniger als in mehralseiner Sprache sprechen über ein Wort mit dem andern lachen, nach Lust und Laune neologieren, auf einen idiomatischen Streich zwei Farbstriche setzen, sie übersetzt nicht, stellt nie eine Sprache in den Dienst der anderen.“ (Ester von der Osten).
Das Buch schließt mit einem Briefwechsel zwischen Jacques Rancière und Peter Engelmann sowie einem Gespräch zwischen Engelmann und Alain Badiou, in dem sich durchaus Reibungspunkte zwischen den beiden auftun. Schön, dass es hier nicht immer zu konsensuell zugeht und Engelmann seinen Gast herausfordert. Ein bisschen Stören ist bei Passagen eben Programm.