

Ein Schauer schwarzer Sterne
Sebastian Fasthuber in FALTER 41/2017 vom 13.10.2017 (S. 29)
Wilfried Steiner führt in die finsteren 1970er und stellt die Frage nach der Legitimität von Selbstjustiz
Mit dem Roman „Die Anatomie der Träume“ beschloss der Oberösterreicher Wilfried Steiner 2015 seine Trilogie, die er mit „Der Weg nach Xanadu“ (2003) begonnen hatte. Die drei Bücher, zu denen als Mittelstück „Bacons Finsternis“ (2010) gehört, verhandeln anhand von Dichtung, Malerei und Theaterwelt Themen wie Inspiration und Kreativität, aber auch Rausch, Wahn und Lust.
Der neue Roman „Der Trost der Rache“ ist trotz der anders gelagerten Thematik kein Neubeginn im Sinne eines „Ich muss jetzt dringend mal was ganz anderes machen“, sondern eine schlüssige Weiterführung und Verdichtung dessen, was über die Jahre zum Markenzeichen des Autors geworden ist.
Dazu zählt vor allem dessen klare, angenehm zu lesende Sprache, von der eine Sogwirkung ausgeht. Hinzu kommt Steiners Begabung für die Recherche und deren literarische Aufbereitung. Im neuen Roman betrifft das vor allem die Astronomie und das Chile unter Pinochet. Des Weiteren werden en passant behandelt: das Feld der Ornithologie und die späten Jahre des Psychoanalytikers Wilhelm Reich.
Es ist bestechend, wie Steiner solch höchst disparate Gebiete, Geschichten und Gestalten zu einem schlüssigen Ganzen zusammenzuführen versteht. Wie auch schon die vorangegangenen Romane erscheint auch „Der Trost der Rache“ als ein ohnedies schon ziemlich geräumiger Koffer, in den Steiner aber so viel hineinpackt, dass er sich unmöglich schließen lassen kann. Irgendwie gelingt das aber doch noch.
Im Zentrum der Geschichte steht Adrian Rauch, der mit seiner gemütlichen, vorsichtigen und eher antriebslosen Art einen probaten Antihelden abgibt. Als junger Mann hat er davon geträumt, Maler zu werden. Aber eben nur geträumt: Nun verbringt er seine Arbeitstage als Beamter in einer Abteilung, die Kulturförderungen vergibt. Seine Frau Karin ist Psychotherapeutin und belächelt den Zauderer an ihrer Seite manchmal, allerdings auf eine stets sehr liebevolle Art.
Dieses beschauliche Dasein wird drastisch unterbrochen, als Adrians Vater, ein Onkologe, binnen kurzer Zeit selbst vom Bauchspeicheldrüsenkrebs hinweggerafft wird. Angesichts der Vergänglichkeit wird Adrian plötzlich von einem Aktivitätsschub erfasst und organisiert eine gemeinsame Reise nach La Palma für sich und Karin. Objekt der Begierde des Hobbyastronomen ist das Gran Telescopio Canarias auf dem Roque de los Muchachos mit seinen gigantischen 10,4 Metern Spiegeldurchmesser.
Die Exposition des Romans ist allerdings etwas verhalten ausgefallen: Die Handlung kommt noch nicht richtig vom Fleck, dafür gerät Adrian ins Dozieren – „grundsätzlich hielt ich Reisen ja für eine Seuche des gelangweilten Bürgertums“ –, dessen Mangel an Originalität ihm freilich selbst bewusst ist: „Das war kein sonderlich origineller Gedanke, aber er passte gut zu meinem Unwillen, mich den Prozeduren eines Ortswechsels zu unterziehen.“
Immerhin: Auf La Palma wenden sich die Dinge und die Handlung nimmt Fahrt auf. Das Paar lernt eine aus Chile stammende Norddeutsche kennen. Zu Sara, die etwas verschlossen ist und offenbar ein Geheimnis verbirgt, fühlt sich Adrian hingezogen, und obgleich ihr Forschungsgebiet die Vögel sind, scheint sie auch an den Sternen interessiert zu sein.
Ohne zu viel zu verraten: Das Sternderlschau’n tritt bald in den Hintergrund, stattdessen fokussiert der Blick auf das Chile unter dem Diktator Pinochet, zu dessen Opfern auch Saras Familie zählte. Sie selbst konnte als junges Mädchen nach Deutschland flüchten.
Steiner erinnert an ein jüngeren Generationen nicht mehr geläufiges Kapitel der Zeitgeschichte. Mit Unterstützung der Vereinigten Staaten wurde 1973 der demokratisch gewählte sozialistische Präsident Salvador Allende gestürzt. Und US-Außenminister Henry Kissinger bekannte nach der Machtübernahme Pinochets, dass die USA den Putsch zwar nicht initiiert, immerhin aber „die größtmöglichen Voraussetzungen“ dafür geschaffen hätten.
Die Verantwortlichen für die Folterungen und die politischen Morde, die damals an der Tagesordnung waren, wurden nur sehr zögerlich und mit großer Verspätung belangt. Und sofern sie hinreichend ranghoh waren, durften sie ihre Strafen als Hausarrest und in hotelähnlichen Gebäudekomplexen absitzen.
Wenn man die beiden Themenkreise des Romans in einem Begriff verbinden kann, dann wäre das: dunkle Materie. Aber obwohl die in dem Roman geschilderten Folterszenen nichts für schwache Nerven sind, sorgt der Autor dafür, dass das Bedrückende nicht vollends die Oberhand gewinnt.
Am Ende läuft es vor der romantischen Kulisse einer kanarischen Insel auf eine moralisch schwer zu beantwortende Frage hinaus: Darf man Selbstjustiz üben, wenn die Justiz versagt hat? Und wenn ja: Wie geht es danach weiter? Spendet die Rache Trost?
Oft hilft schon die Niederschrift jener Sachverhalte, die einen bedrücken oder wütend machen. Was der Leser in Form des Romans in Händen hält, sind die Aufzeichnungen, die Adrian Rauch verfasst, um sich einen Reim auf die Ereignisse zu machen, die ihn am Ende mitgerissen haben werden.
Aber auch Sara muss ihm ihre traumatischen Erinnerungen an Chile in brieflicher Form anvertrauen, weil ihr im Gespräch die Worte versagen. So gesehen könnte dieser ebenso kurzweilige wie anregende Roman auch einen etwas anderen Titel tragen: „Der Trost des Schreibens“.