

Sechs lange Nächte: Der Roman zur Pflegemisere
in FALTER 42/2023 vom 18.10.2023 (S. 30)
Die Literaturgeschichte ist voll von Medizinern: Tschechow, Schnitzler, Schiller, Keats, Céline und Benn waren zumindest eine Zeit lang als Ärzte tätig. In der Gegenwart trifft das auf Rainald Goetz oder Uwe Tellkamp zu. Dass jemand konsequent zweigleisig fährt, kommt selten vor: Paulus Hochgatterer fällt einem ein.
Und dann ist da der Oberösterreicher David Fuchs (Jg. 1983), im Zivilberuf Palliativmediziner sowie nach Feierabend Verfasser schnörkellos-lakonischer Romane. In seinem Debüt "Bevor wir verschwinden" (2018) erzählte er von einem überforderten Jungarzt. Auch das neue Buch "Zwischen Mauern" ist die Geschichte einer Überforderung.
Es spielt in einem Pflegeheim, das die beste Zeit hinter sich hat. Mittlerweile kommen die Menschen nur mehr zum Dahinsiechen und Sterben ins Haus. Mit dem Tod der letzten langjährigen Bewohnerin brechen auch die letzten Tage des Heims an. Bald wird es einem AI-Business-Gebäude weichen müssen.
Anhand von sechs Nachtdiensten erzählt Fuchs ohne Pathos von der Misere im Pflegebereich. Ein Pfleger muss hier im Alleingang zwei Stationen mit Todkranken schupfen. Ihm zur Seite steht nur eine ehrenamtliche Helferin ohne jede Vorerfahrung. Meta ist die Hauptfigur der Romans. Sie wacht an der Seite eines Mannes, der fürchterlich schreit - nur dann nicht, wenn jemand in seiner Nähe ist. Dieser Herr T. hat eine dubiose Vorgeschichte. Meta weiß nicht: Verdient er ihre Zuwendung überhaupt?
"Zwischen Mauern" erzählt davon, was Pflege bedeutet und wie schwierig und wichtig dieser Beruf ist. Fuchs ist freilich nicht der Mann, um aus diesem Stoff ein flammendes Plädoyer für eine Aufwertung des Pflegebereichs zu machen, ihm liegen die leisen Töne. Tristesse kommt keine auf, davor schützt der trockene Humor des Autors. Und die grandiose Figur des kurz vor der Pensionierung stehenden Doktor Pomp, der ständig einschläft und doch keine Ruhe findet.