

Ansichten einer liberalen Grande Dame
Barbara Tóth in FALTER 49/2020 vom 04.12.2020 (S. 24)
Heide Schmidt fände den Titel dieser Buchrezension sicher schrecklich. „Grande Dame“? Was solle das heißen, sie sei einfach die Person, die sie sei, sie könne nicht anders. „Ich seh das so“ heißt folgerichtig ihr neues Buch, das sie im ersten Lockdown mit heißer Nadel gestrickt hat und das kurz vor dem zweiten Lockdown im Brandstätter-Verlag erschienen ist. „Warum Freiheit, Feminismus und Demokratie nicht verhandelbar sind“ lautet der Untertitel, und damit sind auch schon die drei zentralen Themen umrissen, die Schmidt in fünf Kapiteln abhandelt. Jedes davon liest sich wie ein politischer Leitartikel. Schmidt, Jahrgang 1948, ist als ehemalige freiheitliche, dann liberale Politikerin absolut sattelfest in ihren politischen Argumentationen, sie schreibt, wie sie spricht: druckreif. Ihre scharfe Analytik, die kühle Sachlichkeit, mit der sie sich schon als Politikerin – und in ihrer Zeit oftmals auch als einzige Frau – in Debatten bewährte, findet sich auch in „Ich seh das so“.
Hier spricht keine Suchende, keine Zweiflerin, sondern eine Frau mit festen Überzeugungen, der es wichtig ist, „rote Linien“ zu ziehen und uns alle daran zu erinnern, woran wir uns nicht gewöhnen sollten. Etwa daran, Kinder aus dem griechischen Flüchtlingslager Moria nicht in Österreich aufzunehmen. Oder Kritik an der Regierung als „Anpatzerei“ und eine Verfassungsdiskussion als „juristische Spitzfindigkeit“ zu diskreditieren. „Wer meint, das Parlament bestimme, während das Volk entscheide, hat die Demokratie nicht verstanden“, schreibt sie in Anspielung auf den Slogan der ÖVP im Jahr 2019, nachdem das Parlament nach Platzen des Ibiza-Skandals der Regierung das Misstrauen ausgesprochen hatte.
Schmidt kennt den Typus des rechtspopulistischen Politikers gut, begann sie ihre politische Karriere doch in der FPÖ unter Jörg Haider, dem Urvater des modernen Rechtspopulismus. Die wenigen Einblicke, die sie in die „blauen“ Jahre gibt, sind erhellend. Etwa wenn sie beschreibt, wie Haider es verstand, die Medien zu manipulieren.
Eine der persönlichsten und stärksten Szenen in ihrem Buch handelt von jenem Moment, als Haider ihr vor laufenden Kameras ein Tortenstück in den Mund schob. Nicht ein, sondern zwei Mal. Was als harmlose Geburtstagsgeste begann, wurde zu einem sexistischen Akt, wie sie selbst es im Nachhinein einordnet. Das Klicken der Kameras hatte Haider auf die Idee gebracht, Schmidt noch einmal zu füttern. Damit demonstrierte er eine „Geschlechterrangordnung“, schreibt Schmidt.
Gleichzeitig weckte die danach entstandene Debatte das „Frauenbewusstsein“ in ihr. Bis dato hatte sich Schmidt nämlich wie viele Frauen ihrer Generation, die es als Erste in Männerdomänen schafften, nicht als benachteiligt erlebt. Man könne doch alles erreichen, wenn man nur wolle, hatte sie in ihrer Kindheit und Jugend oft genug gehört. Starke Frauenfiguren prägten sie. Dass Feminismus nicht nur eine Frage des persönlichen Willens ist, sondern auch eine strukturelle Frage, lernte sie erst später. Dass die politische Antwort darauf heißen muss, Strukturen zu verändern, auch.
Warum Schmidt überhaupt bei der FPÖ und nicht etwa bei der SPÖ gelandet ist, fragt sie sich selbst an mehreren Stellen ihres Buches. Als Studentin reizte es sie eben mehr, bei jener Bewegung anzuknüpfen, die die Alternative zu den herrschenden Parteien – damals SPÖ und ÖVP – war. Dass liberal und sozial gut zusammengehen, argumentiert Schmidt mehrmals, etwa wenn sie ausführlich erzählt, warum sie mittlerweile eine Verfechterin des Grundeinkommens für alle ist.
Eigentlich wollte Schmidt ein anderes Buch schreiben, erzählt sie im Vorwort. Eines, das erzählt, warum ein Mensch das wird, was er ist. Vor einer Autobiografie scheute sie dann aber zurück, erzählt sie weiter, dieser „Selbstfindungstrip“, wer brauche den schon?
Nach Lektüre von „Ich seh das so“ muss man ihr widersprechen. Die Heide Schmidt, die ihre politischen Grundsätze referiert, ist souverän und überzeugend. Jene, die in die Introspektive geht, die Zeitzeugin und Chronografin, die macht neugierig auf mehr.