

Warum elegant zu sein auch eine politische Frage ist
Barbaba Tóth in FALTER 26/2023 vom 30.06.2023 (S. 17)
Manche ihrer Kritikerinnen und Kritiker meinen, Barbara Vinken schreibe eigentlich immer dasselbe Buch. Es geht um guten Geschmack, Mode, Lebensstil, ums "Sich-ins-Benehmen-Setzen", wie sie so gerne formuliert, um das "savoir vivre" im privaten wie im öffentlichen Leben.
Damit haben sie nicht unrecht. Auch in ihrem jüngsten Werk mit dem Titel "Eleganz" umkreist die Literatur-und Kulturwissenschaftlerin Vinken, Jahrgang 1960, ihre Lebens-und Forschungsthemen. Vergnüglich zu lesen ist es trotzdem -und darüber hinaus auch hoch politisch. Denn immer, wenn Vinken -"die glamouröseste Professorin Deutschlands" (© Der Spiegel) - sich ans Analysieren von vermeintlichen Oberflächlichkeiten macht, erzählt sie vom Zeitgeist, von den Machtverhältnissen zwischen den Geschlechtern und Klassen mit. Das liest sich meistens aufschlussreicher als in klassischen Historienbänden.
Auch weil es Vinken, in ihrer leichtfüßigen essayistischen Art zu schreiben, versteht, Gegenwärtiges mit Historischem zu verbinden und einem die Augen für die "Longue durée", für die lange Dauer von Entwicklungen, zu öffnen. So wie sie in ihrem Bestseller "Die deutsche Mutter: Der lange Schatten eines Mythos" das bürgerliche, häusliche Mutterbild als Erfindung des Genfer Gelehrten Jean Jacques Rousseau (1712-1778) dekonstruiert, dringt Vinken im Buch "Eleganz" tief ein in die Literatur-und Kulturgeschichte jener "Haltung, die unser Miteinander bereichert".
Eleganz, das ist in Vinkens Augen weit mehr als das legendäre Dandytum eines Beau Brummell, der seine Stiefel mit Champagner wusch und stundenlang zum Ankleiden brauchte. Es geht, altmodisch gesprochen, um Manieren im Umgang mit sich selbst und den anderen, Sorgfalt, Achtsamkeit, Zugewandtheit, Freundlichkeit und Geselligkeit. Vinken liebt den öffentlichen Raum, der Rückzug ins Private war schon beim Mutter-Thema für sie der Ursprung vielen Übels. Denn Rückzug bedeutet immer auch, dass Frauen unsichtbar werden, Geschlechterrollen normierter und die Gesellschaft als Ganzes unfreier, freudloser - und eben "uneleganter".
Es ist sicher kein Zufall, dass Vinken das Thema gerade jetzt aufgreift. Die Erinnerung an die Pandemie, die das öffentliche Leben zum Erliegen brachte, ist noch frisch. Dagegen beschreibt sie die Salons Frankreichs in der Zeit vor der Französischen Revolution als das Idealbild einer an Stil, Debatten, Witz, Flirt und Freude interessierten Gesellschaft, in der Frauen wie Männer gleichrangig reüssieren konnten. Mit dem Durchmarsch des Bürgertums kommen deren neue Ideale in Mode. Schlichtheit, Sachlichkeit, auch Sittlichkeit, repräsentiert durch die bürgerliche Ehe, stehen nun als bessere Gesellschaftsordnung gegen den aristokratischen Pomp, die Promiskuität, auch die Verweiblichung der Höflinge im Ancien Régime. Mit der fortschreitenden Industrialisierung wird der Raum für elegante Spielereien, für individuelle Exzentrik und intellektuellen Müßiggang noch enger. Alles wird der Karriere, der Leistung, der Produktivität untergeordnet. In Zeiten von Google wird jeder Smalltalk dann zur "Besserwisserei auf Kosten des Wissenswerten" und jede Einladung zum Power-Lunch.
Dass Eleganz gar nicht nur etwas für Menschen ohne finanzielle Sorgen sein muss, beschreibt Vinken anhand der "Sapeurs". Das sind Anhänger der Société des ambianceurs et des personnes élégantes, was so viel bedeutet wie "Vereinigung der Nachtschwärmer und eleganten Menschen", kurz SAPE, die sich in den Slums der kongolesischen Hauptstadt Brazzaville rausputzen.
Haltung, Gelassenheit und Höflichkeit bewahren, ungeachtet des Gegenübers, ungeachtet der potenziellen Nützlichkeit des anderen, das nennt Vinken wahre Eleganz. Ihr Plädoyer richtet sich auch an die politische Debattenkultur. Selbstironie, die Pointe, die elegant gekontert wird, dieses Spielerische fehle und mache auch das öffentliche Leben leider sehr unelegant.