

Zwei Kindsköpfe machen gemeinsame Sache
Uschi Sorz in FALTER 41/2019 vom 11.10.2019 (S. 52)
Biologie: Zwei Bücher beleuchten die Evolution und das Wesen unseres liebsten Gefährten: des Hundes
Was haben ein Malteser und ein Rottweiler gemeinsam? Genau, sie stammen vom Wolf ab. Wie alle Hunderassen, egal, wie sie aussehen. Weder Fuchs noch Schakal noch Hyäne haben beim treuen Gefährten vieler Menschen je mitgemischt. Das weiß man seit der Entschlüsselung des Hundegenoms im Jahr 2005. Charles Darwin allerdings, akribischer Beobachter der langfristigen Veränderung der Arten und Begründer der auf dem Prinzip der natürlichen Auslese fußenden Evolutionstheorie, konnte darüber vor 160 Jahren nur spekulieren. Auch Hunde und das Rätsel ihrer Abstammung hatten ihn fasziniert. „Wir werden wahrscheinlich niemals imstande sein, ihren Ursprung mit Sicherheit zu bestimmen“, so der von der modernen Genetik widerlegte Stoßseufzer des großen Naturforschers.
Bryan Sykes zitiert ihn in seinem neuen Buch „Darwins Hund“, hält sich danach aber nicht allzu lange mit Darwin auf. Der britische Humangenetiker und emeritierte Oxford-Professor verfolgt die Frage, wie aus Wölfen Hunde wurden und „warum der Homo sapiens mit dem oberflächlich betrachtet so ungleichen Verbündeten eine so außergewöhnliche Verbindung einging“, vor dem Hintergrund heutigen Wissens.
Der Originaltitel „The Wolf Within“ und die hübsche Zeichnung am Cover treffen den Inhalt besser. Sykes erkundet, was Knochenfunde, Fossilien, Höhlenmalereien, vor allem aber Genstudien über Hunde und Wölfe erzählen. Den Leserinnen und Lesern verlangt er dabei einiges an Konzentration ab, zumindest jenen, die mit Genetik bislang nicht viel am Hut hatten. Er führt ausführlich in genetische Grundbegriffe, speziell die Rolle von Mutationen, ein und erklärt, was Wissenschaftler bei der Genanalyse eigentlich genau machen, um ererbte Variationen aufzuspüren. Das mutet manchmal lehrbuchartig an, der interessierte Laie braucht diese Informationen aber für das Verständnis der Erkenntnisse, die vom Jungpaläolithikum bis zu der Entstehung moderner Zuchthunde und hündischen wie menschlichen Erbkrankheiten reichen. Sogar David Bowies zweifarbige Augen kommen vor. Und, ja, die Begeisterung, mit der Sykes vielfältige, teils erstaunliche Zusammenhänge auffächert, überträgt sich. Obwohl ihm das Thema aufgrund eines kindlichen Hundetraumas zuvor eher fern lag, wie er einräumt.
Vielleicht sei er der einzige Autor eines Hundebuchs, „der nicht hoffnungslos in diese Tiere vernarrt ist“, meint Sykes. Doch sei ihm bewusst geworden, was für ein Wunder es sei, dass man jeden Tag Menschen mit ihren Hunden spazieren gehen sehe. „Ein hochentwickelter Primat und ein wilder Fleischfresser, deren Vorfahren einstmals Todfeinde waren, leben Seite an Seite, als wäre es das Natürlichste von der Welt.“
Sykes’ These: Hier handle es sich nicht einfach um die Unterwerfung einer Art durch eine andere, sondern „ein hervorragendes Beispiel für die Koevolution beider Arten zum beiderseitigen Nutzen“. Gemeinsam hätten die flinken, ausdauernden Wölfe mit ihrer unschlagbaren Witterung und die speerbewaffneten Menschen Giganten wie Auerochs oder Mammut den Garaus machen können, vermutet Sykes. Was wiederum den Ursprung der Domestizierung erklären könnte. Eine weitere mögliche Basis für diese Freundschaft nennt der Biologe und Wissenschaftsjournalist Jochen Stadler in seinem Buch „Guter Hund, böser Hund“: Die Forschung betrachte Mensch wie Hund als „pädomorph“, also quasi als verspielte, verjugendlichte Varianten ihrer stammesgeschichtlich nächsten Verwandten. Als „ewige Kindsköpfe“ seien sie in ihrer ganzen Lebensspanne lernfähiger als Affen und Wölfe und könnten Veränderungen besser akzeptieren und verkraften. Offenbar habe das die beiden in der Evolution besonders erfolgreich gemacht und sei einer der Gründe für das gute Einvernehmen.
Auch Stadler ist nah am aktuellen Stand der Wissenschaft. Zu jedem Aspekt, den er abhandelt, hat er Experten befragt. Etwa den heimischen Wolfsforscher Kurt Kotrschal oder die Hundezuchtspezialistin und pensionierte Vetmed-Professorin Irene Sommerfeld-Stur. Anders als Sykes liefert er neben Ausflügen in die Entwicklungsgeschichte aber auch einen alltagstauglichen Ratgeber, der Fragen nachspürt, die heutige Hundebesitzer oder solche, die es werden wollen, bewegen.
Warum beißen Hunde manchmal ihren besten Freund, den Menschen? Gibt es gefährliche Hunderassen? Wie komme ich zu einem verträglichen, ausgeglichenen Hund? Zunächst einmal gehe es darum, das tierische Wesen des Hundes nicht zu unterschätzen, meint Stadler. Und zwar unabhängig von Rassenlisten, die Forscher im Übrigen für willkürlich und kontraproduktiv hielten.
„Zuschnappen kann jeder Hund, genauso wie jeder Autofahrer einen Menschen totfahren kann.“ Es sei unerlässlich, die Warnsignale zu verstehen, die alle Hunde aussenden, bevor sie beißen. Diese „Körpersprache-Vokabeln“ könne man lernen. Der Rest sei Schulung – und viel Übung.
Sätze wie „Mein Hund tut nichts, er will ja nur spielen“ – womöglich wenn der Vierbeiner gerade leinenlos die Umgebung aufmischt – zeugten von einem grundlegenden Unverständnis gegenüber der Art, die man sich ins Haus geholt habe und die nun einmal nicht menschlich ticke. Manche Hunde hätten eher einen „Tut nichts“-Menschen, der nicht die nötige Verantwortung für sie übernehme, so Stadler.
„Wie im Straßenverkehr können Missverständnisse zu Unfällen führen und sich Fehler, die sich in der Erziehung eingeschlichen haben, irgendwann rächen.“ Dagegen helfen fundiertes Wissen sowie echtes Interesse für den Canis lupus familiaris. Und diese teilt Stadler großzügig mit den Leserinnen und Lesern.