

Nachlese zum Wahljahr: Ibiza reloaded
Josef Votzi in FALTER 46/2019 vom 13.11.2019 (S. 21)
Führende Akteure und kritische Beobachter liefern erhellende Einblicke in den außergewöhnlichen Wahlkampf 2019
Nach dem Wahlkampf ist vor der nächsten Propagandaschlacht: Sie sind alle wieder da – die Strategen, Analytiker und Wahlkampfmanager 2019. Diesmal geht es um die Deutungshoheit der außergewöhnlichsten Wahlauseinandersetzung des Landes. Sechs Wochen danach liegt eine erste und nachhaltig nahrhafte Bilanz vor. „Strategien, Schnitzel, Skandale“, so der Untertitel des von der Falter-Autorin Barbara Tóth und dem Politikberater Thomas Hofer herausgegebenen Sammelbands. In 17 Beiträgen wird auf 260 Seiten die „Ibiza“-Wahl von vielen Seiten noch einmal ausgeleuchtet.
Im Eröffnungbeitrag von Thomas Hofer ist erstmals ausführlicher zu lesen, was mit der „schoafen Russin“ abseits der bekannten Videosequenzen noch geredet wurde. Bevor es stundenlang um Straches schlichten Traum von der „Zack, zack, zack“-Übernahme der Kronen Zeitung ging, redete er über die wahren Beweggründe seiner Russophilie. Wortwörtlich sagte er: „Die einzige Rettung wird’s geben im Osten.“ Denn, so Strache laut Hofer, der Westen sei – auch aufgrund seiner angeblichen Islamisierung und Hinwendung zur Homosexualität – dekadent und würde untergehen.
Der Werbe-Guru von Sebastian Kurz, Philipp Maderthaner, bietet zwar einen spannenden Einblick in das digitale Instrumentarium und die Philosophie der türkisen Kampagne; dass der Wahlkampf in der Praxis jedoch anders als 2017 nicht immer nach Drehbuch ablief, ist ein paar Seiten davor nachzulesen: Kurz war in den ersten Stunden nach Bekanntwerden des Ibiza-Videos Mitte Mai gegen Neuwahlen, so Hofer. Maderthaner und Gernot Blümel hingegen seien von Anfang an für das Aus von Türkis-Blau gewesen.
Eine scheinbar banale Anekdote belegt den Stil, wie Kurz Politik macht. Für den Tag nach der Ausstrahlung des Ibiza-Videos waren für 14 Uhr die Interviewer des für die ÖVP tätigen Meinungsforschungsinstituts einberufen, um in einer Blitzumfrage die Stimmungslage der Nation auszutesten. Weil Kurz seine endgültige Entscheidung, ob und wie er mit der FPÖ weitermache, bis in den Abend hinausschob, mussten die Interviewer unverrichteter Dinge wieder nach Hause gehen.
Der ÖVP-Chef rechnete zudem noch in den ersten Wochen mit einem neuen Gegenüber in der SPÖ und ließ zwei Wahlkampfszenarien vorbereiten: eines für einen echten Kanzler-Wahlkampf für den Fall, dass die SPÖ doch in letzter Minute den Medienmanager Gerhard Zeiler als Spitzenkandidaten ins Rennen schickt, und eines für den Verbleib von Pamela Rendi-Wagner.
Den glücklosen Wahlkampf von Rendi-Wagner führt der SPÖ-Kommunikationschef Stefan Hirsch pflichtgemäß nur auf eine Ungunst des Schicksals zurück. Ungewöhnlich offen nimmt er aber Alexander Van der Bellen ins Visier. Schon rund um die Abwahl von Sebastian Kurz war aus der SPÖ, freilich nur anonym und nicht zitierbar, massive Kritik an der Rolle des Bundespräsidenten zu hören. Der Ingrimm ist offenbar nachhaltig. Fokus der nun auch öffentlich artikulierten Kritik: Nach dem Rauswurf Herbert Kickls traten Mitte Mai alle FPÖ-Minister zurück. Die SPÖ-Chefin hatte unter vier Augen für eine unabhängige Expertenregierung plädiert. Van der Bellen habe sich aber dafür entschieden, eine „ÖVP-Alleinregierung, die keine Mehrheit im Parlament hat“, zu dulden. Und der SPÖ damit keinen anderen Ausweg mehr gelassen, als einen Abwahlantrag zu stellen. Der in vielen Wahlkämpfen gestählte ÖVP-Meinungsforscher und Kurz-Berater Franz Sommer nennt in seinem Buchbeitrag als einen der Hauptgründe für den unerwartet hohen Wahlsieg von Sebastian Kurz: Eine Mehrheit der Österreicher war von Anfang an gegen seine Abwahl als Kanzler.