

Die Ärztin, die Tischlerin und ein aggressiver Schwan
Günter Kaindlstorfer in FALTER 12/2024 vom 20.03.2024 (S. 8)
Braucht die Welt noch einen Hallstatt-Roman? Immerhin haben sich schon Kapazunder wie Reinhard Kaiser-Mühlecker und Evelyn Grill in diesem Genre versucht. Wenn man’s angeht wie Dominika Meindl, lässt sich ein Projekt solcher Art vertreten.
Die Autorin hat einen super Schmäh, sie weiß, wie man glaubhafte Figuren zeichnet, und versteht sich auf die Kunst des gekonnten Plotaufbaus. Außerdem kennt sie Land und Leute. Da kann eigentlich wenig schief gehen. Tut es auch nicht.
Schlanke 200 Seiten braucht Meindl, um eine relativ komplexe Geschichte erstens zu entwickeln, zweitens auszuführen und drittens nach allerlei Verwicklungen zu einem leidlich guten Ende zu bringen. Dass sie dabei nicht ins Hudeln kommt und man sich gut unterhalten fühlt, spricht für ihre Könnerinnenschaft.
Es beginnt mit einer Heimkehr. Nach dem Tod ihres Vaters übersiedelt die Ärztin Johanna, längere Zeit in Wien wohnhaft, in ihren Kindheitsort Hallstatt zurück, um die väterliche Ordination zu übernehmen. Der alte Herr hat ein mit allerhand Gerümpel angefülltes Haus sowie einen übergewichtigen Labrador namens Balu hinterlassen.
Johanna leidet unter Eingewöhnungsschwierigkeiten, zumal sich der beschauliche Ort im inneren Salzkammergut zur überrannten Traumdestination für asiatische Halb- und Vierteltagestouristen entwickelt hat.
In an Shortcuts erinnernde Szenen bringt Dominika Meindl das Personal ihres Romans zum Einsatz.
Als da sind: Johannas Zwillingsschwester Doris, eine zupackende Tischlerin, deren Ehemann Martin, eine Slowenisch-Kärntner Zuwandererfamilie mit zwei Kindern – deren mütterlicher Teil überraschend schnell an einer Krebserkrankung verstirbt – sowie der chinesische Strategieberater Ren, der seine Kindheit teilweise in Österreich verbracht hat und das liebliche Hallstatt im Auftrag der chinesischen Regierung auf seine 1:1-Kopierbarkeit hin überprüft.
Meindl spielt mit dem Zwillings- beziehungsweise Verdoppelungsmotiv, denn es gibt eben nicht nur die Zwillingsschwestern doppelt, sondern auch deren Heimatort, von der Autorin übrigens zur „Stadt“ erhoben – „Hallstadt“ gewissermaßen.
Die Handlung wird gemütlich vorangetrieben, mit viel ärztlichem Alltag und kleinen und größeren, sagen wir, Liebesproblemen. Auch so etwas wie Actionszenen bietet Dominika Meindl auf: Ein aggressiver Schwan attackiert einen im See schwimmenden Familienvater, im Beisein eines Priesters wird ein neuer Raika-Bankomat im Ortszentrum eingeweiht, und die Tischlerin Doris – nervenzerfetzender Höhepunkt – schneidet sich mit einer Kreissäge den Daumen ab.
Was sich bei Meindl so liest: „Der Daumen scheint nur noch aus Sentimentalität an der Hand zu hängen, deren Mitglied er fünfunddreißig Jahre lang war.“
Die Autorin schickt ihre Zwillingsschwestern aber auch auf Erkundungstour in die südchinesische Provinz Guangdong, wo ein staatseigener Baukonzern Hallstatt neu aufgebaut hat. Hallstatt unter Palmen: auch etwas, was man nicht gesehen haben muss.
So unspektakulär die Story dahinplätschert, wachsen einem die Figuren doch ans Herz. Einnehmend ist auch der trocken-pragmatische Humor der Autorin. „Die Männer sehen im Schlaf nur deswegen so entwaffnend und schutzlos wie Welpen aus, damit wir sie nicht einfach derschlagen“, lässt Meindl die Tischlerin Doris beim Betrachten des schlafenden Gatten räsonieren.
Am Ende des Romans gelingt Dominika Meindl noch einmal ein eleganter erzähltheoretischer Dreh, der das vorher Erzählte in neuem Licht erscheinen lässt. Nachdem man das Buch zugeklappt hat, ist man sich sicher: Einen weiteren Hallstatt-Roman würde man nicht mehr verkraften. Aber den Meindl’schen – den hat man gern gelesen.