

Kirstin Breitenfellner in FALTER 1-2/2024 vom 10.01.2024 (S. 30)
Janusz Korczak eröffnet seinen Kinderbuch-Klassiker "König Matz der Erste" mit einem Foto von sich selbst als kleinem Buben, aus der Zeit, "als ich wirklich König sein wollte", denn er hält es für wichtig, "von Königen, Weltenbummlern und Schriftstellern Fotografien zu zeigen, auf denen sie noch nicht erwachsen und alt sind, denn es scheint ja so, als ob sie von Anfang an klug und nie klein gewesen seien".
Es gibt wohl kaum einen Pädagogen und Autor seiner Zeit, der Kindern mehr auf Augenhöhe begegnete, als den 1878 als Henryk Goldszmit in Warschau geborenen Kinderarzt Korczak. Er vermittelte seine Ideen in Büchern und im Radio, durch die Gründung einer von Kindern verfassten Zeitung und eines jüdischen Waisenhauses, in dem er seine Theorie von Kinderrechten umzusetzen versuchte.
Als dieses 1942 von den Nazis geräumt wurde, lehnte Korczak sein eigenes Davonkommen ab und begleitete seine Schützlinge ins Vernichtungslager Treblinka.
Sein bekanntestes Kinderbuch, pünktlich zum 100-Jahr-Jubiläum neu übersetzt, erschien 1923. Das merkt man der oft ins Anarchische kippenden Geschichte zunächst gar nicht an. Und dann doch vielleicht ein wenig zu sehr. Am Beginn stirbt der Vater des bis dahin unbeschwerten Königssohns, des zehnjährigen Matz. In einer seiner ersten Amtshandlungen verspricht er einem Mädchen die größte Puppe der Welt.
Schon hier zeigt sich, dass er mangels Lebenserfahrung die Realität nicht immer richtig einschätzt. Gerade deswegen bekommt er es mit der geballten Niedertracht der Welt zu tun.
Zunächst schickt Korczak Matz in einen Krieg, dessen Grausamkeit und Absurdität durch die naive Wahrnehmung des Kindes gezeigt wird. Danach führt er ihn in die Niederungen der Realpolitik ein: Intrigen, Propaganda und Sündenbockprozesse in die Schwierigkeiten, jene Reformen umzusetzen, die der gutherzige, aber blauäugige Matz im großen Stil anstrebt.
Er gründet zuerst ein Kinderparlament, dreht dann kurzerhand die Rollen von Kindern und Erwachsenen um und richtet damit ein ordentliches Chaos an. Die Wirtschaft bricht zusammen. Korczak redet, wie man sieht, keinem naiven Kinder-andie-Macht das Wort, sondern versucht, Kinder mit dieser Abenteuergeschichte auf die Komplexität und die Fallen des Erwachsenenlebens vorzubereiten.
Dazu gehören auch Vorurteile und deren Widerlegung. König Matz reist zu den "Wilden" und "Menschenfressern" nach Afrika, mit denen er sich jedoch befreundet und deren Prinzessin Klu-Klu ihn später aus mancher Gefahr rettet. Sie beschwert sich, dass die europäischen Mädchen nicht mit den Jungs mithalten können, so wie in Afrika, weil sie falsch erzogen werden.
In einer Fußnote weist der Verlag darauf hin, dass "die teilweise klischeehafte Darstellung der Figuren" im "historischen Kontext zu verstehen" sei. Ein kluges Nachwort steuert Esmé Raji Codell bei. Obwohl ein "Meisterwerk der Weltliteratur", sei "König Matz" nicht unantastbar, konzediert sie und rät Erwachsenen, Kinderbücher grundsätzlich immer zuerst selbst zu lesen. Dem ist wohl zuzustimmen, auch wenn Korczak in seiner augenzwinkernden Vorbemerkung meint, sein Buch sei für Erwachsene nicht geeignet.