

Die Sündenböcke des Finanzkapitals
Franz Kössler in FALTER 45/2013 vom 08.11.2013 (S. 16)
Spekulanten wie Kweku Adoboli verzockten innerhalb weniger Wochen Milliarden Euro. Nun putzen sich die Banken an ihnen ab. Zu Recht?
Sie sind als die negativen Helden der Finanzkrise berühmt geworden. Nick Leeson hat mit einem 825-Millionen-Pfund-Verlust die älteste britische Investmentbank versenkt, Jérome Kerviel für die französische Société Générale 4,8 Milliarden Euro verzockt, und Kweku Adoboli hat in drei Monaten 2,8 Milliarden Euro verspekuliert, genug, um die globalen Ambitionen der Schweizer UBS zunichte zu machen.
Nur widerstrebend haben sich die Banken mit den spektakulären Ausrutschern, von denen die Öffentlichkeit erfahren hat, auseinandergesetzt. Fast immer ist es ihnen gelungen, sie als Regelverletzungen, als betrügerische Machenschaften einzelner Mitarbeiter darzustellen.
Vor genau einem Jahr, im November 2012, wurde Kweku Adoboli vom Southwark Crown Court in London zu sieben Jahren Haft verurteilt, wegen zweifachen Betrugs. Der 32-jährige Investmentbanker hatte als Shootingstar am Exchange-Traded-Funds-Desk der UBS gegolten, wo das große Geld gemacht wird, mit Systemen, die selbst in den Banken nur von ganz wenigen Spezialisten verstanden werden.
Der ambitionierte Verwaltungsratschef der Schweizer Großbank, Marcel Ospel, selbst ein Aufsteiger aus einfachen Verhältnissen, hatte gerade eine alteingesessene Londoner Investmentbank gekauft, um in der globalen Finanzwelt mitzumischen. "Ich will, dass wir mehr Risiko eingehen und härter handeln", so die Losung des Konzernchefs Oswald Grübel. Selbst der Economist titelte kritisch: "Ossie's Casino".
Tief religiös und Milliarden-Jongleur
Kweku Adoboli spielte der Bank mit gewagten Spekulationen Millionenprofite ein. Als die Geschäfte unsicherer wurden, verstaute er die Verluste in einer versteckten doppelten Buchhaltung, in der Hoffnung, sie irgendwann mit noch gewagteren Spekulationen wieder wettzumachen. Das verstieß gegen die geschriebenen Regeln der Bank, war aber im Verständnis Adobolis durchaus im Sinne der Bank. "Wir sollten an die Grenze gehen, wir sind bis an die Kante gegangen, dann sind wir abgestürzt", sagte er. Das Gericht befand ihn für schuldig. Aber die Bank wurde von ihrem Teil der Verantwortung nicht freigesprochen.
Am Rande der Gerichtsverhandlung begegnet der Journalist Sebastian Borger dem Angeklagten. Die Einzelheiten des Falls hätten ihn weniger interessiert, schreibt er, als die Persönlichkeit eines Menschen, der mit Milliarden jongliert und dabei den Bezug zur Realität verloren hat.
"Wie konnten Sie nur?", fragt Borger in einer Verhandlungspause den abgestürzten Trader, der in Ghana geboren ist, in England studiert hat, tief religiös ist und in der Bank an einem Platz arbeitete, wo man im Monat mehr verdient als Durchschnittsmenschen in einem Jahr und wo am Jahresende Bonuszahlungen von mehreren hunderttausend Euro winken. Aus der Begegnung entwickelt sich eine menschliche Beziehung und das Buch "Verzockt". Borger besucht Adoboli später auch im Gefängnis The Verne, hoch über dem Ärmelkanal.
Sebastian Borger ist ehemaliger Gerichtsreporter des Spiegel und lebt als freier Journalist in London. Auf der Suche nach einer Antwort auf seine Ausgangsfrage zeichnet er ein differenziertes Psychogramm Adobolis.
Männer mit Hang zum Glücksspiel
Die wirtschaftlichen Grundlagen für die entfesselte Finanzwelt legt Margaret Thatcher in den 1980er-Jahren, als sie Großbritannien von einer Industriemacht in das globale Finanzzentrum verwandelt, die Gewerkschaften zerschlägt und Banken und Börsen von Kontrollen und Regeln befreit. Auf dieser Basis macht sich das euphorische Gefühl breit, man könne ohne produktive Arbeit unbegrenzte Mengen Geld verdienen. Der ehemalige US-Notenbankchef Alan Greenspan hat es einmal als "irrational exuberance" bezeichnet.
Ein erfolgreicher Trader an der Wall Street, der Kanadier John Coates, ist diesem Gefühl auf den hormonellen Grund gegangen. Er studierte Biologie in Cambridge und entdeckte eine Entsprechung zwischen steigenden Gewinnen und steigendem Testosteronspiegel. "Der Rhythmus des Marktes kündet von Preisschwankungen und der Körper des Traders schwingt wie eine Stimmgabel mit", schreibt er.
Nicht zufällig sind die meisten erfolgreichen Trader junge Männer mit einem ausgeprägten Hang zum Glücksspiel. Dass im Notfall der Staat die Banken rettet, ist ihr Sicherheitsnetz. Und unser aller Risiko im entfesselten Kapitalismus.