

Zwischenkriegszeit: Der Aufbruch, der so jäh endete
Alfred Pfoser in FALTER 51-52/2022 vom 21.12.2022 (S. 46)
Kulturkämpfe von gestern, die an jene von heute erinnern: Wie einst beim Buch "Wolfszeit", seiner mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichneten Kulturgeschichte der deutschen Nachkriegszeit (1945-1955), erweist sich Harald Jähner auch mit "Höhenrausch", seinem neuen Werk über "das kurze Leben zwischen den Kriegen", als packender Erzähler. Mit bester Kenntnis von Literatur, Musik, Film, Publizistik und Politikgeschehen führt er durch die Kulturgeschichte der Weimarer Republik, taucht anschaulich in die Stimmungsaufschwünge und tiefen Abstürze ein und packt viele biografische Details aus. Eine sehr frische Mischung in geschickter Dramaturgie.
Keine Frage: Jähners Buch lebt vom Reiz der explosiven Gemengelagen der Weimarer Republik, hält aber bei aller Faszination gekonnt Distanz. Der Neubeginn kam voll rauschhafter Atemlosigkeit daher, gemixt mit erbitterten politischen Auseinandersetzungen, technischen Innovationen und wirtschaftlichen Überlebenskämpfen. Das neue Wohnen, das neue Leben, die neue Frau, der neue Mensch: überall Aufbruch. Die Tanzbegeisterung, der Siegeszug von Kulturpalästen und Körperkultur, die überraschende Libertinage, die erstmals in der Geschichte der Neuzeit Schwule und Lesben offen auftreten ließ: Mit alledem lieferte Berlin einen kunterbunten Aufbruch der Moderne. Aber ausgehend von der Provinz folgte überall der reaktionäre Rückschlag, geboren aus den Enttäuschungen, derer sich der nationalsozialistische Retrozauber geschickt bediente.
Jähners Resümee enthält auch Lehren für die Gegenwart: "Die Krise war gewaltig und die Not groß, aber so aussichtslos, wie sie in weiten Kreisen empfunden wurde, war sie nun auch nicht", schreibt er. "Es waren nicht die wirklich Hungernden, die die schlimmsten Bilder von ihr malten, sondern die von Angst geplagten, aus der Zuversicht verbannten Mittelschichten."