Hannah Arendt

Ein Leben | Eine große Denkerin und die Wirren des 20. Jahrhunderts: Willi Winklers fesselnde Biographie zum 50. Todestag
512 Seiten, Hardcover
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ISBN 9783737101097
Erscheinungsdatum 11.11.2025
Genre Sachbücher/Geschichte/Biographien, Autobiographien
Verlag Rowohlt Berlin
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Rowohlt Berlin Verlag GmbH
Kreuzbergstraße 30 | DE-10965 Berlin
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Kurzbeschreibung des Verlags



Hannah Arendt hat die ganze Geschichte des 20. Jahrhunderts am eigenen Leib erlebt. Als Tochter aus einem großbürgerlichen Haus wächst sie in der Kant-Stadt Königsberg auf, studiert an der Universität Marburg, jenem Ort, an dem sich die geistige Produktivität der zwanziger Jahre auf einzigartige Weise verdichtet, und verliebt sich dort in den charismatischen Philosophen Martin Heidegger. Hitlers Machtergreifung treibt sie ins Exil, sie wird in Frankreich interniert, entkommt nach New York, wo sie wieder ganz von vorn anfängt. Sie entwickelt sich zu einer politischen Theoretikerin, die englisch schreibt, weiter deutsch denkt und sich dabei immer als Jüdin versteht. Mit ihrem Bericht vom Eichmann-Prozess erregt sie weltweit Aufsehen.

Anschaulich und packend erzählt Willi Winkler das Leben Hannah Arendts als die Geschichte einer Frau voller Widersprüche, einer Frau, die sich nach Verfolgung und Vertreibung in Amerika eine neue Identität aufbaut, mit ihrem messerscharfen Verstand alle Männer ihrer Umgebung überstrahlt, dabei aber immer das «Mädchen aus der Fremde» bleibt, als das sie sich selbst bezeichnet. – Die faszinierende Biographie einer der populärsten intellektuellen Ikonen und brillanten Beobachterin ihrer Zeit.


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FALTER-Rezension

Provokateurin, Paria, Party-Hostess

Klaus Nüchtern in FALTER 49/2025 vom 03.12.2025 (S. 32)

Ein Platz in Paris, eine Straße in Berlin, ein Park in der Wiener Seestadt; aber auch der Intercity Express zwischen Karlsruhe und Hannover sowie der Asteroid 100027 -sie alle sind nach Hannah Arendt benannt. Die wohl einflussreichste Denkerin des 20. Jahrhunderts verstarb am 4. Dezember 1975 im Alter von 69 Jahren in New York an den Folgen eines Herzinfarkts. Die aus Königsberg (heute: Kaliningrad) gebürtige Jüdin war 1937 aus Nazi-Deutschland ausgebürgert worden, zunächst nach Paris, 1941 dann nach New York gegangen, wo sie ein Jahrzehnt später die amerikanische Staatsbürgerschaft erlangte.
Im Apartment am Riverside Drive (Nr. 370), in das sie 1959 gezogen waren, hatten Arendt und ihr zweiter Ehemann Heinrich Blücher ihre eigene Partyrepublik errichtet, in der sie bis zu 60 Gäste empfingen, darunter die Hipster-Intellektuelle und Arendt-Verehrerin Susan Sontag, den britischen Dichter W.H. Auden oder Arendts junge Landsleute Uwe Johnson und Jürgen Habermas. Der von 1966 bis 1968 ebenfalls am Riverside Drive (Nr. 243) residierende Johnson hatte Arendt in seiner Roman-Tetralogie "Jahrestage" als preußische Gräfin Seydlitz porträtiert - zur mäßigen Begeisterung der Dargestellten, die den fast um 30 Jahre Jüngeren brieflich wissen ließ, dass sie schon das schiere Zitiertwerden als "eine Art Freiheitsberaubung" empfinde.

Man darf diese Antwort getrost als "kokett" bezeichnen, denn zu diesem Zeitpunkt war Arendt längst eine vielzitierte und -hofierte öffentliche Intellektuelle. 1951 war ihr Opus magnum "The Origins of Totalitarism" erschienen, ehe vier Jahre darauf die stark überarbeitete deutsche Fassung folgte: "Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft." Arendt legt die antisemitischen und imperialistischen Wurzeln des Nationalsozialismus im 18. und 19. Jahrhundert frei und macht den Terror als jenes Element aus, das dieser mit dem Stalinismus teilt.

1959 erhielt sie als erste Frau eine Gastprofessur an der berühmten Princeton University; die Deutschland-Tour, die sie 1964 unternahm, geriet zum "Triumphzug", wie Willi Winkler in seiner soeben erschienenen Arendt-Biografie schreibt. Unternommen, um die deutsche Übersetzung ihrer im amerikanischen Original bereits im Jahr zuvor erschienenen Reportage "Eichmann in Jerusalem" zu promoten, führte sie Arendt am 28. Oktober ins Fernsehstudio des ZDF.

Ihr Auftritt in der neuen Sendereihe "Zur Person" des Journalisten Günter Gaus sollte Berühmtheit erlangen und zum vielgenutzten Selbstbedienungsladen für Zitate werden.

In dem Gespräch erzählt Arendt von ihrer 1933 getroffenen Entscheidung, "nie wieder intellektuelle Geschichten" anzurühren. Der eigentliche Schock sei nämlich nicht die Machtergreifung Hitlers gewesen (über den "jeder, der nicht schwachsinnig war", genau Bescheid gewusst habe), sondern die "ziemlich freiwillige Gleichschaltung" der Intellektuellen; nicht aus Sorge um sich und die Angehörigen, sondern weil sie tatsächlich daran glaubten, wie Arendt sarkastisch anmerkt: "Zu Hitler fiel ihnen was ein. Und zum Teil ungeheuer interessante [ ] und hoch über dem gewöhnlichen Niveau schwebende Dinge!"

Einer, dem so einiges einfiel, war der Philosoph Martin Heidegger. Er trat der NSDAP bei und forderte in seiner Rektoratsrede, dem geistigen Auftrag gegenüber dem deutschen Volk durch Arbeits-, Wehrund Wissensdienst Genüge zu tun. Bereits acht Jahre zuvor hatte er mit einer Studentin - sie sweet eighteen, er resche 35 - eine Affäre begonnen. Hannah Arendt wärmte die Liebesbeziehung ein Vierteljahrhundert später wieder auf und blieb dem raunenden Schwarzwälder Oberförster des Seins bis zu ihrem Tod in unerschütterlicher Devotion verbunden. Den Schwarzen Peter des Antisemitismus aber, an dem Heidegger auch nach dem Untergang des "Dritten Reichs" festhielt, spielte sie dessen Gattin Elfride zu: "Die Frau [ ] wird so lange ich lebe, bereit sein, alle Juden zu ersäufen. Sie ist leider einfach mordsdämlich."

Sympathie und Loyalität verteilte Arendt nicht nach weltanschaulichen Kriterien. Ihre "Politik der Freundschaft", so urteilt die Politologin Grit Straßenberger in ihrer aktuellen Biografie, erlaubte es der virtuosen Netzwerkerin, "zugleich unglaublich eigensinnig und unglaublich anschlussfähig zu sein". Jugendfreunden wie dem Germanisten Benno von Wiese sah sie deren Nazi-Vergangenheit großzügig nach, anderen blieb Arendt in herzlicher Abneigung verbunden, allen voran dem Frankfurter Philosophen und Soziologen Theodor W. Adorno. Ihm war sie schon allein deswegen gram, weil er die musikphilosophische Habilitation ihres ersten Gatten Günther Stern hintertrieben hatte.

Stern nannte sich später Anders und avancierte mit seinem Hauptwerk "Die Antiquiertheit des Menschen" zum Vordenker der Friedens-und Anti-Atom-Bewegung. Adorno aber blieb für Arendt der Kopf jener "Schweinebande", der ihr zufolge auch Max Horkheimer, Co-Autor der "Dialektik der Aufklärung", sowie der um vieles jüngere Dichter und Essayist Hans Magnus Enzensberger angehörten.

Adorno seinerseits hatte für Arendt das freundliche Epitheton "altes Waschweib" in petto. Befeuert wurde die wechselseitige Antipathie durch die Frage, wer die Deutungshoheit über das Werk Walter Benjamins habe. Der Kulturkritiker und dichterische Denker hatte sich im September 1940 auf der Flucht vor den Nationalsozialisten im spanischen Port Bou das Leben genommen und Arendt kurz davor noch das Manuskript seiner berühmten Thesen "Über den Begriff der Geschichte" ausgehändigt, die unter dem Eindruck des Hitler-Stalin-Pakts entstanden waren.

Nach dem Krieg gaben Adorno und der bereits 1923 nach Palästina ausgewanderte Religionshistoriker Gershom Scholem Benjamins Werke heraus. Die durchaus fragile Freundschaft Scholems mit Arendt ging nach der Veröffentlichung des amerikanischen Originals von "Eichmann in Jerusalem" im Jahr 1963 endgültig in die Brüche.

Vom Prozess gegen Adolf Eichmann, der nach dem "Anschluss" 1938 in Wien die Zentralstelle für jüdische Auswanderung geleitet und den Holocaust organisiert hatte, berichtete Arendt für das renommierte Magazin The New Yorker. Sie sei, so urteilt Biograf Winkler, "die schlechteste Reporterin" gewesen, "die je ein Gericht betreten hat". Das ist gewiss zu harsch geurteilt, die Verstörung über ihren Bericht freilich war seinerzeit groß.

Besonderen Unmut erregte Arendts Behauptung, die Zahl der ermordeten Juden wäre nie so hoch gewesen, hätten die von den Nazis eingerichteten "Judenräte" nicht mit diesen zusammengearbeitet. Diese Gleichsetzung von erzwungener "Kooperation" mit "Kollaboration" kritisierte auch der österreichische Schriftsteller und Historiker Doron Rabinovici. In seiner Dissertation "Instanzen der Ohnmacht: Wien 1938-1945. Der Weg zum Judenrat" wertet er die Polemik "als zorniges Klagelied über [ ] die Niederlage von humanistischer Vorstellungskraft", hält aber auch fest, dass Arendt hinter die Erkenntnisse zurückgefallen sei, die sie in ihrem Totalitarismus-Buch hinsichtlich der Irrationalität des Terrors gewonnen hatte.

Fragwürdige Berühmtheit errang ihr Diktum von der "Banalität des Bösen". Arendt selbst gestand ihrerseits, sich in den "finsteren Charme der drei Worte verguckt" zu haben. Dass sie Eichmann als verschnupftes Gespenst und "Hanswurst" beschrieb, hat ihr - wie viele andere -auch Gershom Scholem nicht nachgesehen, der ihren Bericht als "hämisch" und "herzlos" empfand und ihr mangelnde Liebe zu ihrem Volk vorwarf.

Im erwähnten Gespräch mit Günter Gaus darauf angesprochen, reagierte Arendt souverän und mit der ihr eigenen Schnoddrigkeit: Da könne man nichts machen, der inkriminierte Ton sei in diesem Fall ganz die Person, und die würde auch noch drei Minuten vor dem sicheren Tod lachen. Sie wiederholte zudem, was sie seinerzeit Scholem geschrieben hatte, nämlich dass sie Liebe zum eigenen Volk als suspekt empfinde und überhaupt außerstande sei, jemanden anderen zu lieben außer ihre Freunde.

"Denkerin der Stunde" lautet der deutsche Titel des Buches des Philosophen Richard J. Bernstein über Arendt, das 2018 (dt. 2020) erschienen ist. Das bedeutet nun gerade nicht, dass man alles, was die Genannte so gedacht hat, unbesehen übernehmen könne. Am wenigsten ihre Selbststilisierung zur Denkerin "ohne Geländer", die weder dem linken noch dem liberalen oder konservativen Lager angehöre und sich ihr Leben lang stolz in der Reihe jener "Parias" sah, zu denen sie auch ihre "Freundin", die 1833 verstorbene Berliner Salonière Rahel Varnhagen, den Vormärz-Lyriker Heinrich Heine oder Charlie Chaplin zählte, den sie irrtümlich für einen Juden hielt.

Ein Kind ihrer Zeit, lag Arendt in einigen Dingen auch peinsam daneben. So selbstbewusst sie männerdominierte Kreise aufzumischen verstand, so wenig taugt sie als feministisches Role Model.

Für eine Frau schicke es sich nicht, Befehle zu erteilen, ließ sie etwa Günter Gaus wissen, und mit dem Stolz auf ihre hausfrauliche Kompetenz und (angeblich eher bescheidenen) Kochkünste hielt sie nicht hinterm Berg.

Wo es um Fragen von Gender, Class und Race ging, war ihr Blick fraglos von blinden Flecken beeinträchtigt - am offenkundigsten 1957, als Orval Faubus, Gouverneur von Arkansas, afroamerikanischen Schülern in Little Rock den Zugang zur Schule durch Angehörige der Nationalgarde verweigerte. Als Präsident Eisenhower daraufhin die Luftlandedivision entsandte, um die illegale Maßnahme zu brechen, wertete Arendt dies als totalitären Eingriff in die Privatsphäre und die Rechte der weißen Eltern.

In anderen Belangen bewies sie einige Ambiguitätstoleranz. Das Faible für Molotowcocktails manch militanter Vertreter der Studentenrevolte war ihr zuwider, den gewaltlosen zivilen Widerstand aber verteidigte sie ganz generell als notwendiges Korrektiv der von ihr mit großem Argwohn bedachten "Mehrheitsdemokratie".

Tatsächlich von ungebrochener Aktualität ist ein kurzer Text, der Arendts berühmten Kaffeehäferlspruch vom "Recht, Rechte zu haben", spezifiziert und die Abstraktheit der Menschenrechte problematisiert. Der 1943 in der Zeitschrift The Menorah Journal publizierte, aber erst 1986 ins Deutsche übersetzte Essay "Wir Flüchtlinge" ist der vielleicht beste Einstieg in ein respektheischend umfangreiches Œuvre.

Aus eigener Erfahrung, aber gänzlich unsentimental werden die im Titel Aufgerufenen (die aber auf keinen Fall so genannt werden wollen) als "eine neue Gattung von Menschen" erfasst.

Deren verzweifeltes, die eigene Identität verleugnendes Bemühen um Assimilation werde im besten Falle mit Mitleid, im schlechtesten mit Verachtung vergolten, die in Selbsthass umschlagen kann: "Wenn wir gerettet werden, fühlen wir uns gedemütigt, wenn man uns hilft, fühlen wir uns erniedrigt. Wie Verrückte kämpfen wir um eine private Existenz mit individuellem Geschick, denn wir fürchten, in Zukunft zu jenem bedauernswerten Haufen von Schnorrern zu gehören, die wir und die vielen früheren Philanthropen unter uns nur allzu gut in Erinnerung haben."

In dieser Rezension ebenfalls besprochen:

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