Rauschen in der Nacht

Die Wildgans – eine Geschichte des 20. Jahrhunderts | Thomas Steinfeld bringt Kultur, Geschichte und Wissenschaft in einer faszinierenden Erzählung zusammen.
272 Seiten, Hardcover
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ISBN 9783737101974
Erscheinungsdatum 14.10.2025
Genre Sachbücher/Kunst, Literatur
Verlag Rowohlt Berlin
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Rowohlt Berlin Verlag GmbH
Kreuzbergstraße 30 | DE-10965 Berlin
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Kurzbeschreibung des Verlags


Als Sehnsuchtstier durchzieht die Wildgans die jüngere Geschichte. Als das Leben in den Städten des
19. Jahrhunderts schwer erträglich wird, weist sie den Weg in die Natur. In Selma Lagerlöfs Roman «Nils Holgerssons wunderbare Reise» eint sie die schwedische Nation, indem sie einem missratenen Knaben den Sinn von Gemeinschaft offenbart, was auch den deutschen Lesern zum Vorbild wird. Im Ersten Weltkrieg wird sie von den Soldaten in den Schützengräben besungen und ist wenig später in der europäischen Kultur allgegenwärtig: als Wappentier des Naturschutzes, als Heldin der Revolution bei Bertolt Brecht ebenso wie als «Charaktertier des Nordens» bei Bengt Berg, Tierfotograf und Schriftsteller, dessen Träume von germanischen Urlandschaften in die Ideologie des Nationalsozialismus eingehen, im Film, in der Kunst, nicht zuletzt in der Wissenschaft, wo der Zoologe Konrad Lorenz glaubt, in der Graugans die durch die Zivilisation bedrohten Fundamente menschlichen Zusammenlebens entdeckt zu haben. Überall, wo die Wildgans auftritt, wird sie zur Chiffre einer Welt im Umbruch. Thomas Steinfeld folgt ihren Spuren – und zeichnet ein fesselndes Bild des 20. Jahrhunderts.


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ISBN 9783737101974
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FALTER-Rezension

Besungen von Heino und der Hitlerjugend

Klaus Nüchtern in FALTER 42/2025 vom 15.10.2025 (S. 42)

Wildgänse rauschen durch die Nacht / Mit schrillem Schrei nach Norden – / Unstäte Fahrt! Habt acht, habt acht! / Die Welt ist voller Morden.“ So lautet die erste Strophe eines der populärsten Gedichte deutscher Sprache. Walter Flex hat es seiner Novelle „Der Wanderer zwischen den Welten“ (1916) vorangestellt. Im Jahr danach prescht er bei Riga zu Pferd und mit gezücktem Säbel auf einen Trupp russischer Soldaten zu, die indes von ihren Gewehren Gebrauch machen. Exit Flex.

Trotz der todessehnsüchtig-martialischen Metaphorik fand sich das später von Robert Götz vertonte Poem nicht nur im Repertoire von HJ und SS, sondern erfreute sich auch in der Wandervogelbewegung und sogar unter KZ-Häftlingen großer Beliebtheit, ehe die singende Haselnuss Heino dem Lied 1968 (!) noch einmal zu Popularität verhalf.

In seinem Buch „Rauschen durch die Nacht“ geht der Journalist und Schriftsteller Thomas Steinfeld der Frage nach, warum ausgerechnet die Wildgans im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts nicht nur zum Leittier der Verhaltensforschung, sondern durch die ihr zugeschriebenen Eigenschaften wie Loyalität, Unabhängigkeit und Familiensinn zum „Erklärungsmuster für das Menschliche“ schlechthin avancierte.

Als literarische Leitgans gilt bis heute Akka von Kebnekaise, auf welcher Nils Holgersson im Jahr 1906 seine „wunderbare Reise durch Schweden“ antritt. Der einst als Landeskunde- und Nation-Building-Manual verfasste Kinderbuchklassiker trug Selma Lagerlöf 1909 als erster Frau den Literaturnobelpreis ein.

Welcher Art der Gattung Anser Akka & Co angehören, ist übrigens ungeklärt. Die meisten gehen von Graugans (Anser anser) aus, aber von der ist bei Lagerlöf nur ein einziges Mal und in anderem Zusammenhang die Rede, wie Steinfeld weiß, der 2014 eine hochgelobte Übersetzung des Buches vorgelegt hat.

Die „Wildgans“ ist kein wissenschaftliches Taxon, sondern definiert sich ex negativo im Vergleich zur domestizierten Hausgans – eine Opposition, die auch die Narrative bestimmt, mit denen sich dieser stets im Kollektiv auftretende Vogel sinnfällig verbinden lässt: Wildgänse „führen ein freies, nomadisches Leben, sie kennen weder Eigentum, Lohnarbeit noch Gepäck, sie folgen dem Ruf der Natur und ziehen in ein Land, das nie eines Menschen Fuß betreten hat“.

Der semantische Spielraum, den diese Assoziationen eröffnen, ist weit genug für vielerlei Lesarten: Ob die Graugans eher martialisch oder pazifistisch, nationalistisch oder internationalistisch, politisch rechts oder links codiert wird, ist a priori noch nicht ausgemacht; und mitunter vereinigt sie auch widersprüchliche Tendenzen wie in jenem „reaktionären Modernismus“, der „zurück zur Natur“ will und sich zugleich für den Fortschritt begeistert.

Am interessantesten sind Steinfelds Ausführungen dort, wo sie die medientechnischen Voraussetzungen bestimmter Diskurse reflektieren und etwa zeigen, wie sehr Fotografie und Film die Vorstellung einer unberührten Natur befördern.

Eine besonders schillernde Figur in diesem Zusammenhang ist der schwedische Schriftsteller, Filmer und Fotograf Bengt Berg (1895–1967). Sein Buch „Mein Freund, der Regenpfeifer“ (1917) erreicht sechsstellige Auflagen. Hermann Göring liest es noch kurz vor seinem Suizid, und überhaupt halten die Nazis große Stücke auf das umtriebige Multitalent. Bergs Film „Die letzten Adler“ (1929) bewegt Joseph Goebbels in seiner Darstellung eines stolzen, von feiger Möwenmoral unbeeindruckten Räubers zutiefst: „Bengt Berg ganz unser Mann“, urteilt der Reichspropagandaminister und bespricht mit diesem 1940 „unsere Pläne zur Neuordnung Europas“.

Von Berg ist es nicht weit zu Konrad Lorenz, der dessen „Liebesgeschichte einer Wildgans“ (1930) gelesen hat. Darüber hinaus schlägt die Verbindung von Tierliebe und Misanthropie und der ideologisch aufgeladene Gegensatz von Natur und Zivilisation bei beiden zu Buche.

Was Steinfeld zu Lorenz zu sagen hat, ist weitgehend bekannt, mitunter redundant und ein bissl wunderlich (etwa der Vergleich mit Sigmund Freud). Das Lorenz attestierte Geschick, „nicht zu viel zu erzählen und nicht zu wenig“, aber lässt er schmerzlich missen. In sprunghafter Chronologie, bildungseitler Detailverliebtheit und einem Nieselregen des Namedroppings verliert er die leitmotivische Leitgans mehr als einmal aus dem Blick, und man fragt sich, wie ein so versierter Feuilletonist und kluger Kopf wie Steinfeld ein dermaßen konfuses Buch vorlegen konnte.

Klaus Nüchtern

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