

Twardoch über die Ukraine: Wer den Krieg hasst, kämpft
Stefanie Panzenböck in FALTER 26/2025 vom 27.06.2025 (S. 28)
Der erste Satz gibt den Ton an. "'Nam pisdá, wir sind am Arsch'", sagt Ratte. Ratte, ein ukrainischer Soldat im Krieg gegen Russland, sitzt gemeinsam mit seinem polnischen Kameraden Koń, der sich freiwillig gemeldet hat, im Schützengraben. Auf der "schlechten Seite des Flusses", des Dnipro.
Eine Drohne bringt ihnen Essen und Wasser. Das bedeutet, dass es keine Möglichkeit mehr gibt, den Fluss mit dem Boot zu überqueren und damit zurück auf die "gute Seite" zu kommen.
Die Rahmenhandlung des Romans "Die Nulllinie" ist in und zwischen den Unterständen einer kleinen Gruppe von Soldaten angesiedelt. Ausgehend von der Enge und Kälte dieses gefährlichen Ortes schreibt Szczepan Twardoch eine große Geschichte des Krieges. Groß ist sie nicht deshalb, weil sie von Helden und einer gerechten Sache erzählt, was sie nicht tut, sondern weil sie vom alltäglichen Grauen der Freiwilligen und Rekruten berichtet. Vom Schmutz und vom Hunger, vom Töten und Verwundetsein, von Kriegsgefangenschaft und Folter. Die Sprache ist roh und brutal.
Twardoch stützt sich in seinem Roman auf eigene Recherchen. Er fuhr immer wieder an die Front und lieferte Material an die ukrainische Armee. In "Nulllinie" betont er, wie sehr die Soldatinnen und Soldaten auf Spenden angewiesen sind. Twardoch nennt es "Fundraising-Krieg".
Eine Art innere Stimme des Protagonisten Koń führt durch den Krieg, der hier viele Gesichter bekommt. Wer kämpft und warum? Końs Motiv wird nur langsam erkennbar, die Spannung hält bis zum Schluss.
Der Schlüsselsatz im Buch bezieht sich auf eine Frau, die in russischer Gefangenschaft gefoltert wurde. "Zuja hasste den Krieg und verachtete deshalb Männer, die nicht kämpften", heißt es. Denn wenn Unrecht geschieht, müsse man sich einmischen. Eine Grundaussage dieses Buches, mit dem Twardoch einen der wichtigsten Romane zur Zeit geschrieben hat.