

Margaretha Kopeinig in FALTER 35/2024 vom 30.08.2024 (S. 20)
Jeder stirbt für sich allein Berlin 1940: Es ist ein kurzer Brief, der dem Ehepaar Otto und Anna Quangel die traurige Nachricht bringt: Ihr Sohn ist im Krieg gefallen. Den Eltern ist klar, Adolf Hitler bringt nur Unheil. Otto Quangel beginnt Postkarten mit Warnungen zu schreiben. Heimlich verteilt er diese in der Stadt, seine Frau hilft ihm dabei. Ihr Widerstand ist aussichtslos. Sie werden verhaftet, er wird 1943 hingerichtet, sie stirbt später im Gefängnis bei einem Bombenangriff.
Der Kern des Romans von Hans Fallada mit dem Titel "Jeder stirbt für sich allein" basiert auf dem stillen Leben von Elise und Otto Hampel, von deren Schicksal Fallada aus einer Gestapo-Akte erfuhr.
Geschrieben hat er den Text bereits 1946. Die ungekürzte Fassung nach dem Originalmanuskript erschien Jahrzehnte später und war in den USA, in Israel und Frankreich ein Bestseller. "Ein literarisches Großereignis", lobte die New York Times das Werk.
Fallada zeichnet das Panorama des Berliner Alltags der Nazizeit, das sich in der Jablonskistraße 55 abspielt. Hier leben die Quangels, eine jüdische Dame, deren Mann bereits von der SS abgeholt wurde und die sich das Leben nimmt, ein pensionierter Richter und eine linientreue Familie, die alle überwacht. Im Hinterhof wohnt ein skrupelloser Denunziant, der für Geld alles tut.
In unfassbar klarer Sprache beschreibt Fallada die Protagonisten und nimmt auch die Perspektive der Gestapo auf. Der Einblick in den moralisch deformierten, gewaltsamen Umgang dieser Behörde mit Andersdenkenden ist emotional sehr belastend - man ist versucht, beim Lesen Pausen einzulegen. Nicht nur gegenüber den Regimefeinden, die Kommissare verhalten sich auch zueinander wie verrohte Kreaturen.
Das Buch zeigt eindrücklich, wie toxisch und angstvoll die Stimmung unter den Nazis war und wie jeder, der nur einen leichten Zweifel an Hitler hatte, sein Leben gefährdete. Was hier erzählt wird, ist erschütternd und verfehlt die Botschaft nicht, jederzeit alles kritisch zu hinterfragen. Auch heute.