

Eine Freakshow voll Zuneigung und Wärme
Sebastian Fasthuber in FALTER 25/2021 vom 25.06.2021 (S. 30)
Mit dem Roman „Sarah“, den der österreichische Autor Clemens Setz für den deutschsprachigen Raum entdeckt (und übersetzt) hat, landete Scott McClanahan den literarischen Überraschungs-Hit 2020. Der US-Amerikaner erzählt darin semi-autobiografisch mit viel Drive, einer guten Portion Wahnsinn, vulgär, aber auch zärtlich-poetisch vom Suff und vom Niedergang seiner Ehe.
Dass der 43-Jährige kein One-Hit-Wonder ist, beweist nun das ebenso wunderbare Buch „Crap“ (im Original: „Crapalachia: A Biography of a Place“). Hier versetzt sich McClanahan an den Ort seiner Jugend zurück, die er zum Teil bei seiner Großmutter Ruby und seinem Onkel Nathan in einem abgelegenen Landstrich West Virginias verbracht hat. Wieder serviert er haarsträubende Episoden, die tragisch und komisch zugleich sind.
Da ist Nathan, der mit über 50 immer noch bei seiner Mutter lebt, weil er von klein auf gelähmt ist und den Alltag allein nicht bewältigen könnte. Er schaut Seifenopern, trägt Teddybär-Pullover und träumt von Bier und Frauen. Oma Ruby lässt sich derweil regelmäßig ins Spital bringen, weil sie sich für schwer krank hält. Das wiederholt sich so oft, dass niemand den Ernst der Lage registriert, als es mit ihr wirklich dem Ende zu geht. Nach dem Tod der beiden zieht Scott bei Bill ein, einem Schulkollegen, der unter schweren Zwangsstörungen leidet.
„Crap“ besteht praktisch nur aus skurril-kaputten Figuren, und doch gerät McClanahan das Buch nicht zur Freakshow. Sein Blick ist voller Zuneigung und Wärme. Hinter all dem Dreck und Schnaps in seinen Texten versteckt sich ein großer Romantiker und Schwärmer: McClanahan konserviert, was die Zeit und der Tod hinweggerafft haben – seine Ehe, seine Familie, seine Jugend.
„Crap“ ist eine große, verzweifelte Beschwörung des Lebens: „Lass uns, Ruby und Nathan, so tun, als würden wir immer so bleiben. […] Treffen wir uns heute in eintausend Jahren wieder genau hier, an dieser Adresse. Treffen wir uns in Danese, lebendig statt tot, lebendig statt tot, lebendig statt tot.“ Literatur kann das.