

Vom Sixties-LSD zum Kapitolsturm: ein Buch über Räusche der Gegenwart
Matthias Dusini in FALTER 33/2023 vom 18.08.2023 (S. 31)
Aus der Vorliebe für psychedelische Erfahrungen machen die Autoren Paul-Philipp Hanske und Benedikt Sarreiter keinen Hehl: "Mit LSD fanden wir jene Substanz, die uns auf radikale Weise aus dem Alltag und seiner Zeit riss." In ihrem neuen, einer ersten Bestandsaufnahme von 2015 folgenden Buch betrachten sie den Aufstieg der ehemals anrüchigen Untergrund-Droge in den Mainstream. Sogar einige Managerseminare empfehlen das Eintauchen in andere Bewusstseinszustände, Hollywoodstar Gwyneth Paltrow schwärmt von Magic Mushrooms.
Die Autoren beschreiben den Rausch - die Ekstase -als Grundzug der Gegenwart. Er verspreche "reine Präsenz", ein Zeitgefühl, das im Angesicht globaler Krisen den Wunsch nach Eskapismus erfüllt. Die Recherche stellt historische Techniken der Selbststeigerung etwa im Yoga vor und erinnert an spirituelle Höhenflüge in schamanistischen Ritualen. Mit nüchterner Skepsis verfolgt sie die Verwandlung der heiligen Substanz in konsumentenfreundliches Microdosing.
"Ekstasen der Gegenwart" liefert, fakten-und meinungsstark, nicht nur eine Materialsammlung, sondern auch eine politische Interpretation des Rausches. Die psychedelische Apotheke hatte zwar Abnehmer in der Gegenkultur der Sixties. Doch die Grenzüberschreitung betörte, wie Hanske und Sarreiter herausarbeiten, auch konservative Vordenker. Zivilisationskritik und Technikskepsis verbinden den das Dionysische feiernden Philosophen Friedrich Nietzsche mit dem Soldatendichter Ernst Jünger. Und folgen nicht auch Demagogen, die zum Sturz der Demokratie aufrufen, einer romantischen Agenda?
Die Autoren legen durchaus nüchtern die Vergiftungsgefahr dar, die von der betäubten Vernunft ausgeht, um ihr "Recht auf Ekstase" zu verteidigen. In Clubs für elektronische Musik sozialisiert, feiern sie den Dark Room des schwulen Undergrounds als Ort, an dem sich Ich-Auflösung mit Gemeinschaft verbindet. Am Ende eines kurzweiligen Trips durch die Kultur des Außer-sich-Seins.