

V13 -das ist Freitag, der Dreizehnte
Ulrich Rüdenauer in FALTER 32/2023 vom 09.08.2023 (S. 15)
Am Freitag, dem 13. November 2015 wurde Frankreich in den Grundfesten erschüttert. Im Pariser Stade de France trat die französische gegen die deutsche Fußballnationalmannschaft an. Irgendwann hörte man im Hintergrund einen dumpfen Knall. Zwei islamistische Selbstmordattentäter jagten sich vor dem Stadion in die Luft. Ein Kommando erschoss willkürlich Menschen in Cafés. Ein anderes drang in den Konzertsaal Bataclan ein. 130 Menschen starben, 700 wurden verletzt. Der Ausnahmezustand wurde verhängt -er blieb zwei Jahre in Kraft. Zwischen September 2021 und Juni 2022 fand der Prozess statt -die Haupttäter sind zwar alle tot, aber ihre Helfer standen vor Gericht. 1800 Nebenkläger, knapp 350 Anwälte, 14 Angeklagte - ein Mammutverfahren.
Der Schriftsteller Emmanuel Carrère hat den Prozess neun Monate lang im Gerichtssaal verfolgt. Er hörte zu, beobachtete, reflektierte. "V13" - Vendredi le treizième, Freitag der Dreizehnte nach dem Datum der Bataclan-Anschläge -heißt das großartige Buch, das daraus entstanden ist. Was man liest, spielt sich an der Grenze des Verstehens und des Zumutbaren ab. Es sind furchtbare Minuten und Stunden, von denen die Hinterbliebenen und Überlebenden berichten. Die Opfer stehen bei Carrère im Zentrum, wenngleich er auch den Tätern Raum zugesteht - der Autor will verstehen. Er hat Sinn für die Argumente der Verteidigung, aber vor allem für das Leid, das hier hundertfach geschildert wird. In diesem Buch gibt es keine schiefen Bilder, keine Obszönität, keine Sensationslust. Sondern nur das Bedürfnis, jedem und jeder eine Stimme zu geben.
Nach der Verkündung der Urteile gegen die Angeklagten versammeln sich viele der Prozessbeteiligten in einer Bar. Alle betrinken sich, alle versichern sich, ihre Aufgabe mit Würde und Anstand gemeistert zu haben -Verteidiger wie Ankläger. Diese denkwürdige Feier in der Bar ist ein eindrückliches Zeichen dafür, dass der islamistische Terror sein Ziel nicht erreicht hat.