

"Die Mächtigen gingen vor mir auf die Knie"
Stefanie Panzenböck in FALTER 17/2025 vom 23.04.2025 (S. 32)
Es läutete an der Tür, gerade als die Domina ihren Sklaven ans Andreaskreuz gehängt hatte. Draußen stand ein Nachbarsmädchen. Es ließ sich nicht abwimmeln. Herta Lueger, im Lederkostüm, warf sich einen Bademantel über und ging mit dem Mädchen mit. Es hatte sich beklagt, dass Luegers Tochter Patricia ihre Rollschuhe nicht herborgen wollte. Ein Leben zwischen Spielplatz und Peitsche. Und der Weg dorthin war weit.
Herta Lueger wurde 1947 in einem Dorf im Burgenland nahe der ungarischen Grenze geboren. Sie verließ ihre Heimat und erlangte im Münchner Rotlichtmilieu der 70er-und 80er-Jahre große Bekanntheit. Sie betrieb Clubs, später einen Escortservice und arbeitete als Domina. "Die Macht war ausschlaggebend", erklärt die heute 78-Jährige ihre Beweggründe. "Ich habe davor so viel Ohnmacht erlebt." Anfang der 1990er-Jahre stieg sie aus. Bis 2023 führte sie in München einen prominenten Friseursalon.
Nun hat sie gemeinsam mit ihrer Tochter, der Drehbuchautorin Patricia Lueger, Jg. 1974, ihre Geschichte aufgeschrieben, die von dem Kampf um Selbstbestimmung einer Frau der Nachkriegsgeneration handelt. Gleichzeitig erzählt "Bardame gesucht, Zimmer vorhanden" von einer außergewöhnlichen Form der weiblichen Selbstermächtigung, der Arbeit als Domina. Das Buch überzeugt durch seine nüchterne und schonungslose Erzählweise. "Niemand hat das Recht auf ein perfektes Leben", sagt Herta Lueger. Was ihr auch zustieß, sie machte immer weiter.
Auf den ersten Blick wirkt Lueger unscheinbar. Sie ist zierlich und klein, ihre Stimme leise, aber ihre Augen blitzen, wenn sie von ihrer turbulenten Vergangenheit erzählt. Patricia Lueger, ihre Tochter, blonde Locken, groß und schlank, ordnet während des Gesprächs die Anekdoten ihrer Mutter ein. Vieles davon hat sie selbst miterlebt und damit auch gehadert.
Herta wuchs mit sechs Geschwistern auf, ihr Vater war zweiter Bürgermeister im Dorf und besaß ein Ziegelwerk. Die Mutter erzog ihre Tochter zwar streng, nähte aber für sie oft nächtelang schöne Kleider. Denn dass Herta behauptete, sie kriege weniger als andere, wollte die Mutter nicht auf sich sitzen lassen. Das Leben des Mädchens schien vorgezeichnet. Sie sollte hart arbeiten, heiraten, Kinder kriegen und ihrem Ehemann gehorchen. Doch Herta hatte andere Pläne. Sie wollte zwar eine Familie haben, jedoch auch einen Beruf erlernen.
Mit 15 fand sie eine Lehrstelle als Friseurin. Mit Mitte 20 hatte sie mehr durchgemacht, als ein Mensch ertragen kann.
Als sie 16 war, verliebte sie sich in einen jungen Ungarn aus dem Dorf, im Buch Ludwig genannt. Er stammte aus einer wohlhabenden Familie, die gegen die Verbindung war. Schließlich beschlossen die beiden, noch nicht volljährig, ein Kind zu bekommen. Denn dann mussten die Eltern der Heirat zustimmen. Nach der Hochzeit gehörte Herta zur "feinen" Gesellschaft und lebte das ideale Frauenbild der 1960er-Jahre: Sie wohnte in der Villa der Familie ihres Mannes, ging einkaufen mit Hochsteckfrisur und in Pumps. Ihren Job gab sie auf.
Die Welt hinter der Fassade war brutal. Ludwig entpuppte sich als "besitzergreifend und eifersüchtig", in seiner Familie waren Alkohol und Gewalt Teil des Alltags. "Ich habe nie den Arzt oder die Polizei gerufen", erzählte Herta Lueger. "Ich gehörte nun zur angesehensten Familie im Dorf. Niemand durfte erfahren, was wirklich passierte."
Hertas und Ludwigs erster Sohn kam auf die Welt und bekam den Namen des Vaters, kurz Loli. Mit nicht einmal einem Jahr bekam Loli eine schwere Erkältung, die nicht mehr wegging. Als er einmal bei seiner Großmutter übernachtete und Herta ihn wecken wollte, bewegte er sich nicht. "Ich rüttelte ihn, aber er bewegte sich noch immer nicht. Ich packte ihn, lief auf die Straße, schüttelte verzweifelt seinen regungslosen Körper, ich schrie, ich schrie ihn an, ich versuchte alles, damit er endlich aufwachte. Die Leute liefen, durch mein Geschrei alarmiert, auf die Straße." Eine Nachbarin sagte dann zu ihr: "Lass ihn, Herta, er ist tot."
Die Obduktion ergab, dass Loli an einer Lungenentzündung gestorben war, die niemand erkannt hatte. Die Eltern wollten ihren Sohn noch einmal sehen und wurden ohne Vorwarnung in den Raum geschickt, als der Boden gerade vom Blut gereinigt wurde.
Um seine Trauer ertragen zu können, trank Ludwig immer mehr. Herta wurde mit 19 wieder schwanger, ihr zweiter Sohn Klaus kam auf die Welt. Sie begann, heimlich wieder zu arbeiten. Das Ehepaar fand nicht mehr zusammen. Herta entschied, sich scheiden zu lassen, was einem Schwerverbrechen gleichkam, wie sie sagt.
Ludwig entführte schließlich das Kind und erzählte ihm, dass die Mutter gestorben sei. Herta engagierte einen Anwalt, der ihr jedoch nicht half, sondern nächtens vor ihrer Tür stand, sie sexuell bedrängte und zu vergewaltigen versuchte. Sie wehrte sich. Daraufhin stellte er ihr horrende Rechnungen und ließ ihr Gehalt pfänden. In einer abenteuerlichen Aktion holte Herta ihren Sohn Klaus ein Jahr später zu sich zurück.
Sie wollte weg aus dem Burgenland. Außerdem brauchte sie einen neuen Job. Mit Mitte 20 folgte sie der Einladung einer Freundin nach München. Dort fand sie eine Stelle in einem Friseursalon. Klaus lebte in dieser Zeit bei seiner Großmutter. Sie besuchte ihn so oft sie konnte.
Der Weg ins Rotlichtmilieu führte über eine Anzeige, die dem Buch den Titel gab: "Bardame gesucht, Zimmer vorhanden." "Wäre meine Mutter da nicht hingegangen, hätte ihr Leben wahrscheinlich eine andere Richtung genommen", sagt Patricia Lueger. "Ich habe mittlerweile verstanden, dass sie dieses Leben nicht gesucht hat, sondern dass es ihr passiert ist." - "Ich war naiv", sagt Herta Lueger. Sie begann in dem Kellerlokal, das in rotes Licht getaucht war, hinter der Theke zu arbeiten. Was rund um sie geschah, verstand sie zu Beginn nicht. Als der Chef sie anwies, mehr von ihrem Dekolleté zu zeigen, wehrte sie ab. Irgendwann zählte sie eins und eins zusammen: Die jungen Frauen an der Bar waren jeden Tag in Begleitung anderer Männer, und sie erzählten Herta häufig, wie viel Geld sie schon verdient hatten. "Du, ich glaube, hier sind Nutten", sagte sie zu einer Freundin. Damit wolle sie nichts zu tun haben. "Ich war sehr selbstgefällig", meint sie heute.
Doch Lueger fühlte sich wohl in München und, anders als in ihrer Heimat, respektiert. "Für viele der ,rechtschaffenen', bürgerlichen Herren im Burgenland war ich Freiwild gewesen, das man ungestraft belästigen konnte. Im München der 70er-Jahre konnte ich so sein, wie ich war."
Sie war jedoch nicht nur in eine nie gekannte Freiheit gestolpert, sondern auch in eine Welt der Gewalt und des Verbrechens. Einige von Luegers Wegbegleiterinnen überlebten ihre Zeit in diesem Milieu nicht. Freier ermordeten sie. Eine Freundin wurde mutmaßlich von einer Domina, mit der sie gearbeitet hatte, zu Tode gefoltert. "Ich hatte Glück, dass mir nichts passiert ist", sagt Lueger.
Zu Beginn nahm sie niemand ernst. Doch eines Abends war sie mit ihrem Partner unterwegs. Zuhälter wollten ihn in einem Lokal angreifen, Lueger bekam einen Krug zu fassen und schlug damit einen der Männer.
Sie hatte sich Respekt verschafft. Der zweite Grund, warum man sie in Ruhe ließ, war ihr Partner selbst, den sie 1975 heiraten sollte. Rainer Lueger war gelernter Maler und arbeitete als Ausstatter beim Film: "Ob Jetset, Schickeria oder Halbwelt: Rainer kannte jeden und jeder kannte Rainer", heißt es im Buch. "Mein Vater hatte eine Präsenz, die die meisten anderen Männer beeindruckt hat. Deshalb hatte meine Mutter Schutz", erzählt Patricia Lueger.
"Angst hatte ich nie", sagt Herta. "Ganz stimmt das nicht", wirft ihre Tochter ein. "Als deine Freundin Sun ermordet wurde, hattest du Angst." Ende der 1970er kam es in München zu mehreren Morden im Rotlichtmilieu. Sun, eine Prostituierte, wurde schwer misshandelt und getötet. "Da hast du Schutz gesucht und sogar Leute engagiert, die auf dich aufgepasst haben." - "Stimmt, das hatte ich vergessen", sagt Herta. "Das war das einzige Mal. Denn ich hatte in meinem Leben schon das Schlimmste hinter mir. Mein Kind war gestorben. Was sollte mir noch passieren?"
Als eine Freundin auf den Strich ging, schloss sich Herta ihr an, um herauszufinden, ob das für sie in Frage käme. Damals, erzählt sie, sei es verpönt gewesen, wirklich Sex mit Freiern zu haben. "Es gab alle möglichen Tricks, um Männern Sex vorzugaukeln, zum Beispiel das berühmte ,Falle schieben', ein anderer Ausdruck für Handverkehr." Lueger hatte kein Interesse an dieser Arbeit. Auch der Auftritt als Domina behagte ihr bei den ersten Versuchen nicht.
Doch dann ließ sie sich von einer erfahrenen Kollegin ausbilden. "Plötzlich habe ich gemerkt, dass die Mächtigen vor mir auf die Knie gehen. Ich bin durch Schwabing gegangen und habe gedacht, ich bin Gott. Ich nenne keine Namen, aber es war unglaublich, wer vor meiner Tür stand", erzählt Herta Lueger.
Als Domina bestimmte sie alles, bis zu dem Zeitpunkt, an dem der Kunde die Tür hinter sich wieder schloss. Einmal half sie einem alten, zittrigen Mann nach "der Behandlung" in den Mantel. "Ab dem Augenblick, wo er mich von meiner menschlichen Seite sah, wollte er mich nicht mehr als seine Herrin. Er kam nie wieder."
Sie selbst begann ihren Auftritt mit dem Satz: "Ich muss dich bestrafen, was hast du getan?" Meistens erkannte sie, was ihr "Sklave" wollte: "Steht ein Mann etwa in der Turnhose da, wie ein Schulbub, will er übers Knie gelegt werden. Und wenn man ihm dann so richtig den Arsch versohlt, kommt er auch zum Orgasmus. Den Orgasmus haben wir niemandem verweigert, da waren wir nicht kleinlich."
1974 kam Luegers Tochter Patricia auf die Welt. Drei Tage nach der Geburt arbeitete die Mutter wieder. Das Domina-Studio befand sich unter der Wohnung der Familie, was die Organisation erleichterte: "Mein Alltag war ganz normal: Haushalt und Kinder", erzählt Herta Lueger. "Wenn ich in die Wohnung ging, etwa um zu kochen, hängte ich einen Zettel an die Studiotür, dass die Kunden oben läuten sollten."
Für die Kinder war der Beruf der Mutter eine Belastung. Klaus, der Ältere, der mitunter in München lebte, brach in Tränen aus, wenn sie zur Arbeit ging. Als sich Herta Lueger oben ohne bräunen wollte, fuhr er sie an: "Das Oberteil bleibt an! Die Stadt hat eine ganz schöne Sau aus dir gemacht!"
Bei ihrer Tochter wollte es Herta Lueger besser machen und schickte sie zu einer Psychologin. "Natürlich wollte ich nicht, dass meine Mutter eine Domina ist. Niemand will das", sagt Patricia Lueger. Wenn Kunden anriefen, wimmelte sie sie ab. "Zwischen zehn und 15 war es besonders schwer, dann habe ich es langsam akzeptiert."
Das Verhältnis zwischen Herta Lueger und ihren Kindern wurde über die Jahre immer besser. Außerdem bekam sie Unterstützung von ihrer Familie aus dem Burgenland. Zwei ihrer Geschwister lebten zeitweise in München und wussten über ihren Beruf Bescheid. Nur ihre Mutter durfte nichts erfahren. "Sie hätte uns alle umgebracht", ist sich Lueger sicher.
Anfang der 1980er eröffnete Herta Lueger ihren ersten Club, Caprice, mit Bar, Stripbühne, Domina-Studio, Wellnessbereich. Die High Society ging hier ein und aus. Mittendrin stand die Chefin, eine Schönheit mit blonden Locken und im Lederkostüm.
Sie vermietete auch Zimmer an Prostituierte, die aus allen gesellschaftlichen Schichten kamen. "Sie landeten im Milieu, weil sie in Not waren." Ehen waren gescheitert, sie mussten für ihre Kinder sorgen oder waren drogenabhängig. "Diejenigen, die schon schwierige Zeiten hinter sich hatten, haben überlebt", erzählt Lueger. "Die konnten kämpfen. So wie ich."
"Die Mädchen" seien ihr sehr am Herzen gelegen, betont Lueger. Sie wollte sie beschützen, bläute ihnen ein, sich an alle Sicherheitsvorkehrungen zu halten und nur das zu tun, was sie selbst wollten. Und ausschließlich mit Kondom. "Einmal bedrohte ein Freier ein Mädchen. Da bin ich ausgerastet, und er ist davongelaufen."
Ende der 1980er-Jahre erkrankten immer mehr Menschen an Aids. Herta Luegers Geschäft brach ein. Außerdem hatte sie Schulden, weil die Geschäftsführer in ihren Clubs Geld abgezweigt hatten. Neben ihrem Friseursalon, den sie zusätzlich eröffnet hatte, startete sie ein Begleitservice. Die Prostituierten besuchten ihre Kunden zuhause. "Als Aids aufkam, fühlten sie sich dort wohler als in den Clubs", erklärt Lueger.
Sie musste aufpassen, nicht mit dem Gesetz in Konflikt zu kommen. Denn Frauen an Freier zu vermitteln und dafür Geld zu kassieren, war strafbar. Die Zimmervermietung in den Clubs hingegen galt als legal. "Einerseits musste ich Schulden abzahlen, andererseits baten mich auch die Mädchen, weiterzumachen. Sonst wären sie den Zuhältern ausgeliefert gewesen, die von ihnen verlangt haben, ohne Kondom Sex zu haben. Bei mir haben sie sich besser aufgehoben gefühlt."
Anfang der 1990er verließ Herta Lueger das Rotlichtmilieu. Eine der Frauen, die für sie gearbeitet hatten, war von einem Kunden ermordet worden. Vor Gericht fasste auch Lueger eine Strafe aus, wegen Zuhälterei, 15 Monate auf Bewährung. Von nun an stand sie gemeinsam mit ihrem Sohn Klaus nur noch in ihrem Friseursalon, der wiederum zu einem Treffpunkt für Prominente wurde. 2023, nach zwei Herzinfarkten und der Pandemie, legte sie die Arbeit nieder.
Heute lebt Herta Lueger in Wien. Kontakte ins Milieu hat sie seit Jahrzehnten nicht mehr. "Viele sind gestorben, andere haben geheiratet und sind gut situiert. Mit dem Buch will ich vor allem an jene erinnern, die nicht überlebt haben."
Was denkt sie darüber, dass sich Prostitution und Pornografie ins Internet verlagert haben?"Die Mädchen müssen nicht mehr in der Kälte stehen und sich den Arsch abfrieren. Aber ich habe davon keine Ahnung mehr." Und Pornografie fand sie auch schon vor dem digitalen Zeitalter grauslich. "Ich will niemandem beim Sex zuschauen." Auch eine Domina in Aktion würde sie nicht sehen wollen. "Weil ich weiß, dass ich es besser kann."