Stand der Zivilisation

156 Seiten, Taschenbuch
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Reihe Fröhliche Wissenschaft
ISBN 9783751830478
Erscheinungsdatum 02.10.2025
Genre Soziologie
Verlag Matthes & Seitz Berlin
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HerstellerangabenAnzeigen
MSB Matthes & Seitz Berlin Verlagsgesellschaft mbH
info@matthes-seitz-berlin.de
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Kurzbeschreibung des Verlags


Die Überzeugung, die Demokratie mitsamt ihren Gesetzen und Vorschriften biete den besten Weg, friedlich und gedeihlich miteinander zu leben, scheint in Teilen der Bevölkerung zu schwinden. Übergriffe gegenüber Beschäftigten des öffentlichen Diensts, Angriffe auf Migranten und Flüchtlinge nehmen seit Jahren zu. Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht in Ämtern, gegen Rettungsdienste oder Kulturinstitutionen gepöbelt, gespuckt und auch geschlagen wird. Zivile Verhaltensstandards und Verbindlichkeiten werden inmitten der Normalität des sozialen Verkehrs aufgekündigt, ohne dass Elend, massenhafte Armut, Verwüstung durch Kriege oder staatliche Gewaltexzesse dafür verantwortlich gemacht werden könnten. Vielmehr sind es molekulare Aggressionen, die sich in den noch weitgehend intakten und geschäftigen Alltag einnisten und durch ihre Ausbreitung und ihren Gewöhnungseffekt ansteckend wirken. Ihnen geht Wolfgang Engler anhand persönlicher Erfahrungen und mit dem Blick des scharfsinnigen Soziologen nach, begibt sich in die Kampfzone, in der das Faustrecht wieder gilt, und stellt Überlegungen an, wie und ob man diese zivilisatorische Gefährdung befrieden kann.


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FALTER-Rezension

Der dünne Firnis der Zivilisation

Ulrich Rüdenauer in FALTER 42/2025 vom 15.10.2025 (S. 33)

Der Firnis der Zivilisation ist in den letzten Jahren ziemlich dünn geworden. Rettungskräfte werden attackiert, Wahlkampfhelfer beim Plakatekleben angegriffen. In den sozialen Medien wird verbal weit unter die Gürtellinie gezielt. Queere Personen fühlen sich bedroht. Migrant:innen sind wüsten Beleidigungen ausgesetzt, manchmal bleibt es nicht bei Worten. Und umgekehrt ist die Reizschwelle gerade bei männlichen Geflüchteten so niedrig, dass es immer wieder zu Übergriffe und Schlägereien kommt. „Molekulare Aggressionen“ nennt Wolfgang Engler das.

Der Soziologe und Publizist, der lange Jahre als Rektor der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ in Berlin wirkte und erst im Frühjahr ein großes Memoir unter dem bezeichnenden Titel „Brüche. Ein ostdeutsches Leben“ herausbrachte, versucht in seinem neuen Buch einem kaum noch zu verleugnenden Tatbestand auf die Spur zu kommen: „Die Hemmschwelle sinkt und die Kampfzone, in der wieder das Faustrecht gilt, weitet sich zu Lasten einer zivilen Konfliktaustragung aus.“ Wir können das gerade in extremer Form in den USA beobachten: Auf der einen Seite steht eine Regierung, die nichts Versöhnliches hat, sondern auf Rache sinnt und einen inneren Feind beschwört, der auf allen Kanälen attackiert wird. Und das zu verurteilende Attentat auf den rechtsextremen Posterboy Charlie Kirk erzeugt eine noch hasserfülltere Stimmung – von molekularen Aggressionen lässt sich da kaum noch sprechen.

„Stand der Zivilisation“ lautet der durchaus große Titel von Englers kleinem Buch. Auf gerade mal 150 Seiten will der 1952 in Dresden geborene Kulturwissenschaftler nicht nur beschreiben, in welcher Form sich die „Aufkündigung ziviler Verhaltensstandards und Verbindlichkeiten“ bemerkbar macht. Sondern auch, was diese Erosion zu bedeuten hat und wie man ihr entgegenwirken könnte. Leiten lässt er sich dabei von einem seiner Hausgötter, dem Soziologen Norbert Elias, für den Zivilisation niemals vollendet und immer gefährdet war. Diese Erkenntnis seiner bahnbrechenden Studien zum Prozess der Zivilisation ist für Engler das Leitmotiv seines eigenen Essays.

Elias unterschied zwischen einem fremdzwang- und einem selbststeuerungsdominierten Affektregime. Will heißen: Der Prozess der Zivilisierung vollzieht sich, wenn ein Bestimmtsein von außen umgewandelt wird in eine Selbstbestimmtheit, oder anders ausgedrückt – in Affektkontrolle. Die ist notwendig für ein Zusammenleben in Gemeinschaften. Und in Aufstiegsgesellschaften scheint sie auch für die meisten Menschen einsichtig: Durch angemessenes Verhalten erhöhen sich nämlich die Chancen, in einer sozialen Gemeinschaft nach oben zu kommen.

Das habe, so Engler, lange Zeit funktioniert. Es funktioniere nicht mehr im Neoliberalismus, der neben wenigen Gewinnern vor allem Verlierer und Absteiger hervorbringe. Menschen, die gar nicht mehr die Hoffnung hegen, es im System zu etwas zu bringen. Das zivilisatorische Kalkül gehe für einen persönlich nicht mehr auf, man zahle ein, bekomme aber nicht mehr genug heraus.

Hier liege der Nährboden für Verschwörungstheorien und Neidpropaganda, die sich gegen Zuwanderer und Schwächere richtet. Es ist das Geschäftsfeld der radikalen Rechten, die ein simples Narrativ pflegen: Ausländer raus, und alles ist wie früher. Diese rückwärtsgewandte Fortschrittserzählung verfängt, und ihre Inhalte werden teils von demokratischen Parteien kopiert.

Das führt aber nicht dazu, Menschen für ein partizipatives Miteinander zurückzugewinnen. Im Gegenteil: Studien zeigen, dass mit dieser Taktik nur die Populisten Zugewinne einfahren. Engler schlüsselt das durchaus gut auf. Er versucht zu verstehen – jene, die sich abgehängt fühlen. Und jene, die aus anderen zivilisatorischen Zusammenhängen zu uns kommen und sich nicht nur ausgegrenzt, sondern auch durch liberale Freiheitsrechte ihrer eingeübten Verhaltensweisen beraubt fühlen. Diese Dialektiken sind es, die im heutigen Diskurs kaum mehr bedacht würden. Von allen Seiten. Englers Forderung: Die Zivilität, die kaum noch eine Stimme habe, müsse gestärkt werden. „Das ruft geradezu nach einer Erzählung“, schreibt er, „in der sich alle wiederfinden, einer Erzählung, die insbesondere jenen, die es am schwersten haben, das Vertrauen in sich selbst und in die demokratischen Institutionen zurückgibt.“

Ansetzen müsse man da, wo seit Jahren kaum Energien und noch weniger Gelder hinfließen: ganz unten. Bei der Bildung, bei der Verteilung von Reichtum und wirtschaftlichem Gewinn. „Der Allgemeinheit, all jenen, die das Surplus erwirtschaften, den Vorrang einzuräumen, hieße, Unternehmer und Investoren in Funktionäre des Gemeinwesens zu verwandeln. Das bedeutete einen radikalen Systembruch und dafür fehlt derzeit jegliche Handhabe.“ Zivilisation brauche Zukunft, Individuen, die durch Perspektiven ermutigt würden.

Das ist alles richtig erkannt. Und es scheint, betrachtet man die Weltlage, die Prioritätensetzung der Politik, den geopolitischen Backlash durch chauvinistisch-gewaltbereite Männer, weiter weg denn je. Freie Marktwirtschaft und Demokratie seien geschwisterlich verbunden, wurde immer wieder betont. Aber autoritäre Strukturen und Kapitalismus vertragen sich prächtig – das wird seit einigen Jahren immer deutlicher, nicht zuletzt an einem aufstrebenden Global Player wie China. Wo kein kämpferischer Aufbruchsgeist mehr herrsche, sondern abwartende Verunsicherung, sei es um unsere zivilisatorischen Errungenschaften schlecht bestellt, folgert Engler. Sein Buch ist letztlich kein Wegweiser heraus aus der Lage, die er beschreibt. Sondern tatsächlich nur eine beunruhigende Bestandsaufnahme.

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