

Alle Mann zurück!
Thomas Wolkinger in FALTER 42/2025 vom 15.10.2025 (S. 40)
Wenige Jahre bevor er 1992 verarmt in einem Wiener Pflegeheim verstarb, zog der Philosoph Günther Anders bittere Bilanz. Jahrzehntelang hatte er mit seinen Büchern vor der „Endzeit“ gewarnt. Dann kam Tschernobyl – und Anders zum Schluss, dass es am Ende notwendig und legitim sei, auch mit Gewalt gegen „Technokraten“ und Atomlobbyisten zu kämpfen. Mit „Blümchenüberreichen“ komme man den Zukunftsvernichtern nicht bei.
Die Frage, was angesichts der sich verschärfenden Klimakrise zu tun sei, treibt auch den britischen Autor und früheren Klimaaktivisten Paul Kingsnorth um. Als Stichwortgeber für seinen im Original bereits 2013 veröffentlichten Essay „Dunkle Ökologie“ dient ihm einer, der in seinem Zivilisationsverdruss noch viel weiter als Anders ging: Der Unabomber Ted Kaczynski überzog die USA zwei Jahrzehnte lang mit tödlichem Terror, die Argumentation in seinem Manifest „Die industrielle Gesellschaft und ihre Zukunft“ liest sich wie eine Trivialversion von Anders’ „Antiquiertheit des Menschen“. Kingsnorth hält Kaczynskis Beweisführung für „überzeugend“ und ist damit nicht allein: Auch im Internet sind „Uncle Ted’s“ Thesen wieder überraschend populär. In aller Kürze: Das „industriell-technologische System“, zu dem sich ein obskurer „Leftismus“ als Feindbild gesellt, verhindere die freie Selbstverwirklichung des Menschen und zerstöre den Planeten. Da ist für besorgte Mitmenschen aller möglichen ideologischen Richtungen etwas dabei.
Kingsnorth, der Kreditkarte und Smartphone meidet, folgt dieser Kritik und prangert in seinem gut geschliffenen Essay den quasi-religiösen Mythos der modernen Fortschrittserzählung an. Das System, das bei Kingsnorth „die Maschine“ heißt, sei nicht reformierbar, sowohl die grüne Bewegung als auch die technologie- und marktverliebten „Neoumweltschützer“ würden scheitern, schreibt er. Die drohenden Folgen: zivilisatorischer Kollaps und Ökozid.
So weit, so dunkel. Wie Kaczynski, der sich 2023 in Haft suizidierte, hat auch Kingsnorth alle Hoffnung fahren gelassen: „Wenn Sie in Zeiten wie diesen nicht verzweifeln, dann leben Sie nicht wirklich“, heißt es gegen Ende des Textes. Nur in der Wahl der Waffen will der Essayist dem Bomber nicht folgen. Die Maschine ließe sich weder zähmen noch zerstören. Daher sei auch – und das ist die vielleicht „gefährlichste“ Passage des Textes – politisches Engagement Zeitverschwendung. Kingsnorth legt stattdessen den „Rückzug“ nahe, eine forschende Einkehr. Er ermuntert zum Schutz nichtmenschlichen Lebens, dazu, die Sense zur Hand zu nehmen, körperliche Arbeit zu leisten, und regt den Bau von „Rückzugsorten“ an – um „das zu erhalten, was einen Wert hat“. In neueren Texten, die er nach einer fantastischen spirituellen Reise, die ihn vom Buddhismus über einen Wicca-Hexenkonvent zur rumänisch-orthodoxe Kirche führte, schrieb, zählt er dazu nun auch traditionelle Kultur, Familie und Religion. In der „Dunklen Ökologie“, ein übrigens ohne Verweis beim britischen Philosophen Timothy Morton entlehnter Begriff, ist dies nur angedeutet.
Kingsnorths Essay enthält wenig wirklich originäre Ideen, bringt aber eine Zeitspannung auf den Punkt, in der zwischen Dringlichkeit der Krise und Apathie viel Raum für Apokalyptiker, Kollapsologen und Esoteriker bleibt. Dieser Raum, ist zu befürchten, wird künftig nicht kleiner. Die Dringlichkeit der Zeit will auch die Aufmachung des Bandes spiegeln, einer von zunächst vier kürzeren Essaybändchen, die zeitgleich bei Matthes & Seitz erschienen sind. Die Aufmachung erinnert an aktivistische Gebrauchstexte, weniger an das elegant verpackte Nature Writing, wie man es von der Naturkunden-Reihe gewohnt war. „Wir glauben, dass es jetzt an der Zeit ist, agiler zu werden, deutlicher, ja, aufrührerisch“, schreibt die Herausgeberin Judith Schalansky im Verlagsprogramm. Gut, dass zudem auf ökologisch zertifiziertem Papier gedruckt wurde.