

Was Mütter nicht schreiben dürfen
Sara Schausberger in FALTER 12/2024 vom 20.03.2024 (S. 13)
Mit dem Kind kommt die Angst. Die Angst, der Verantwortung nicht gerecht zu werden. Die Angst, nicht genug zu lieben. Die Angst vor der Lage der Welt. Die Angst, von nun an als Autorin zu versagen. Ist es möglich, gleichzeitig Mutter und Schriftstellerin zu sein?
Die Dänin Olga Ravn setzt sich in „Meine Arbeit“ bedingungslos ehrlich mit den Auswirkungen der Geburt ihres Sohnes auseinander. Sie fällt in eine schlimme postnatale Depression, inklusive Panikattacken und Selbstmordgedanken, die sie in ihrem Buch offenlegt. Gleichzeitig ist dieses aber auch ein Künstlerinnenroman, der das Schreiben literarisch brillant auf mehreren Ebenen thematisiert.
Wie der Titel schon suggeriert, wird hier alles als Arbeit bezeichnet: die Schwangerschaft, die Geburt, das Stillen, das Wickeln, das Schreiben und die Kunst. Alledem wird häufig abgesprochen, richtige Arbeit zu sein. Und auch die Autorin selbst zweifelt ihre eigene Arbeitsfähigkeit immer wieder an.
Bekanntheit erlangte Ravn in ihrem Heimatland zunächst als Lyrikerin. Schon in ihrem Debütroman „Die Angestellten“ befasste sie sich dann mit dem Themenkomplex Arbeit. Humanoide und Menschen reisen darin auf einem Raumschiff durchs All und erfüllen einen Auftrag. Mit der Zeit stellen sie fest, dass ein Leben, das sich allein der Produktion widmet, nicht glücklich machen kann.
Während „Die Angestellten“ aus hunderten Zeugenaussagen besteht, mischt Ravn in „Meine Arbeit“ die Formen: Tagebuch-Passagen treffen auf Gedichte, Essays auf Szenisches, Erzählungen auf Briefe einer Unbekannten. Zwischendurch findet sich Fragmentarisches, manchmal ein Patientinnenblatt.
2020 ist der Roman auf Dänisch erschienen. Nun kommt er in der ausgezeichneten Übersetzung von Alexander Sitzmann und Clara Sondermann auf Deutsch heraus. Die literarische Collage besteht aus vielen alternativen Anfängen, Mittelteilen und Enden. Im Spiel mit den Formen schwingt die permanente Unsicherheit der Schriftstellerin mit, ob sie ihre Kunst noch kann.
Nach der Geburt ist sie „wie besessen davon, ein normales Buch zu schreiben“. Aber da ist auch das Kind, das seine eigenen Zeiteinheiten hat. Als sie im Schreiben am glücklichsten ist, schwingt immer die Angst mit, ihr Sohn könnte aufwachen und den Flow unterbrechen. Davon zeugt auch die fragmentarische Struktur des Romans.
Ravn erzählt die Geschichte aus zwei Perspektiven: Es gibt ein Ich und Anna. Anna ist Ravns Alter Ego, von der sie in der dritten Person schreibt. Alles, was die Autorin selbst nicht mitteilen kann, sagt sie als Anna. Manchmal wechseln die Perspektiven innerhalb weniger Sätze.
Die namenlose Ich-Erzählerin beschreibt an einer Stelle, wie sie immer mehr Seiten findet, die sie kurz nach der Geburt verfasst hat, an die sie sich aber nicht mehr erinnern kann: „Wäre da nicht meine eigene Handschrift, ich hätte glauben können, das alles stamme von einer Fremden.“
Anna ist Schriftstellerin, ihr Freund Aksel Dramatiker. Sie leben in Kopenhagen. Kurz nach der Geburt ziehen sie für eine Weile nach Stockholm, wo er herkommt. „Alles war vor der Geburt geplant worden, sie waren davon ausgegangen, die kommenden zwölf Monate planen zu können.“ Doch der Ortswechsel und die Einsamkeit im anderen Land verstärken Annas Angstzustände sowie ihre Sehnsucht nach der Küchenschublade mit den Messern.
Entblößend beschreibt Ravn die Beziehungsdynamiken, die ein gemeinsames Kind mit sich bringt. Das Paar hatte den Plan, den Sohn gleichberechtigt aufzuziehen. Doch in Anna wächst mit der Zeit die Erkenntnis, dass sie niemals gleichberechtigt sein könnten: „Tief in ihrem Inneren hat Anna auch das Gefühl, Aksel nicht verlassen zu können, weil sie ihn liebt. Aber diese Liebe steht im Schatten des Kindes, der Geburt und der Schwangerschaft, die Anna verstehen lassen hat, dass Männer und Frauen nicht gleich sind.“
Besonders unangenehm sind die Szenen, in denen Aksel sie alleine hinausschickt, weil er meint, es würde ihr guttun. Oder wenn er versucht, dem Stillen zuvorzukommen, indem er das Kind zu sich nimmt, um es zu füttern: „Aksel glaubt, dass Stillen eine freie Entscheidung ist. Genau wie das Befolgen eines Plans. Aber dass ihre Brüste alle drei Stunden hart werden wie Stein, ist keine freie Entscheidung.“
Ravn gelingt es, die Ambivalenz der Elternschaft prägnant einzufangen. Anna will das Kind loswerden und möchte dennoch immer mit dem Kind sein. Um schreiben zu können, muss sie sich für ein paar Stunden von ihrem Sohn trennen. Im Kaffeehaus versucht sie ihrer künstlerischen Arbeit nachzugehen, dort kreisen die Gedanken aber um den Kleinen. Wieder daheim, denkt sie nostalgisch an das Leben vor der Schwangerschaft zurück.
Kümmern oder Kunst? Seit ein paar Jahren findet die Auseinandersetzung mit Elternschaft immer mehr Eingang in die Literatur. Das Künstlerinnenkollektiv Care/Rage beschäftigt sich mit der Vereinbarung von Care-Arbeit und Autorinnenschaft. Bücher von Julia Weber, Antonia Baum oder Kate Zambreno gehen sehr persönlich auf die Konflikte zwischen Sorgearbeit und Kunst ein.
Sheila Heti fragt sich in „Mutterschaft“, ob nicht die Autorinnenschaft eine Alternative zum Elternsein darstellt. Auch Ravn bezieht sich in „Meine Arbeit“ in essayistischen Passagen auf andere schreibende Mütter, allerdings haben die meisten von ihnen lange vor der dänischen Autorin gelebt.
Allen voran Mary Shelley, die „Frankenstein“-Erfinderin, die mehrere Kinder bekam, von denen aber nur eines das Erwachsenenleben erreichte. Ein wichtiges Referenzwerk ist auch Hiromi Itōs Langpoem, in dem die japanische Dichterin von einer Frau erzählt, die ihr Kind tötet, nachdem es sie in die Brustwarze gebissen hat.
Die Britin Rachel Cusk beschrieb schon 2001 in ihrem Memoir „Lebenswerk“ (im Original: „A Life’s Work: On Becoming a Mother“) den Spagat zwischen Mutter- und Autorinnenschaft. Dass sich Ravn mit keinem Wort auf Cusk bezieht, verblüfft dann doch. Die beiden Bücher weisen in ihrer radikalen Auseinandersetzung mit dem Thema große Parallelen auf.
Wie subjektiv ist das alles nun? Total und überhaupt nicht. Ravn stellt das Wickeln und das Stillen in einen gesellschaftspolitischen Zusammenhang und bleibt dabei sprachlich immer messerscharf. Sie findet Worte für ihre Zweifel und erzählt gleichzeitig eine große Liebesgeschichte zwischen Eltern und Kind. All das ist ihre Arbeit. Ein wichtiges Werk.