
Kirstin Breitenfellner in FALTER 49/2025 vom 03.12.2025 (S. 29)
Am Anfang steht ein Feuer -und mit diesem endet Sarah Jägers Roman "Das Feuer vergessen wir nicht" auch. "Als ich Flint zum ersten Mal begegne, sitzt er im Sessel von Frau Martin, und unter meinem linken Arm klemmt ein Liebesroman", beginnt das erste Kapitel.
Wir befinden uns in einem Pflegeheim, also nicht unbedingt einem Ort, der für Lovestorys prädestiniert zu sein scheint. Trotzdem entbrennt Aris Herz gleich für den Burschen, der, wie sie später erfährt, hier seine Sozialstunden abzuleisten hat. Ari selbst arbeitet hier ehrenamtlich, indem sie den alten Menschen vorliest.
Feuer spielt eine Hauptrolle in diesem herzerwärmenden Roman, nicht nur in puncto Liebe, sondern auch als kulturgeschichtlicher Background: Neben Hans Christian Andersens Märchen "Das Mädchen mit den Schwefelhölzern" wird auch aus der Hausarbeit von Frau Martin zitiert, die spät berufen zu studieren begonnen hat, bevor die Demenz zuschlug: "Der Streik der Streichholzmädchen im Jahre 1888.""Was brauch ich denn Geschichten, wenn zum Schluss auch die Guten sterben?", pulvert Flint, der eine eher pessimistische Sicht auf die Welt vor sich herträgt. "Deshalb gehst du nicht in die Schule?", kontert Ari. "Weil die Welt sowieso untergeht?"
Jäger überzeugt durch ihre frische, lapidare Sprache. Und sie beherrscht die Kunst des Dialogs. Ihr preisgekrönter Jugendroman "Und die Welt, sie fliegt hoch" von 2024 bestand nur aus Messages zwischen zwei Jugendlichen. Ein Kunststück.
Heile Welten gibt es bei ihr nirgends. Aber trotz unkonventioneller Familienkonstellationen, Alkohol-und anderer Probleme verliert hier niemand den Mut. Ari pflegt allerdings einen gewissen Mutwillen, der aber nie von Boshaftigkeit, sondern von Neugier und Lebensdurst angetrieben wird.
Darin eingebettet wirken die kurzen Augenblicke von Romantik umso glaubwürdiger. Etwa wenn Ari Flint in seinem Wohnmobil auf dem Gelände des Gebrauchtwarenhandels seines Onkels besucht. "Dieser Moment. Ich will ihn für immer behalten. Selbst wenn wir nicht mehr sind, soll er bleiben."
Was es mit dem Brand auf sich hat, der am Beginn des Romans steht und am Ende das Pflegeheim zerstört, soll hier natürlich nicht ausgeplaudert werden. Wovon der Roman eigentlich handelt, formuliert Ari in einer Brandrede an Flint: "Es geht um das, was nicht in 30-Sekunden-Stories passt. Um das, was selbst mit Filter noch beschissen aussieht. Es geht um alles, einfach alles. Wie wir leben, was wir machen. Weil wir nicht allein unter dem Sternenhimmel liegen. Verstehst du?"
Flint nickt. Zum Schluss, als Ari in höchster Gefahr schwebt, übernimmt er den Job des Erzählers. Und damit den Part der Hoffnung.


