

Iris haute alle aus den Socken
in FALTER 42/2024 vom 18.10.2024 (S. 45)
Über 80 Jahre lange pflegte sie ihren Look, einen Mix aus exzentrischen Vintage-Teilen und Haute Couture, für sich und vielleicht die New Yorker Society-Szene. Im Jahr 2005 kannte dann nahezu die ganze Welt Iris Apfel. Was war passiert? Mehr oder weniger aus einer Verlegenheit hatte ein Modekurator am Metropolitan Museum of Art eine Ausstellung für seine gute Bekannte Apfel organisiert, weil ihm eine andere Schau ausgefallen war. Er besuchte die exzentrische Frau zuhause in ihrer Parc-Avenue-Wohnung und stieß auf ein bemerkenswertes Aufgebot an Koffern, Regalen und Schränken, in denen wie in Konserven Chanel-Blusen, liturgische Gewänder, Federboas, Seidenmäntel, Flohmarktschätze und Tabletts voller Modeschmuck gebunkert waren.
Die weit gereiste Iris hatte gemeinsam mit ihrem Mann Carl im Laufe von mehr als einem halben Jahrhundert wahrscheinlich eine der größten Kleider-, Accessoires- und Modeschmucksammlungen New Yorks zusammengetragen. 2018 schrieb sie in „Stil ist keine Frage des Alters“, ihrem Debüt als Autorin, dass sie in einem früheren Leben wohl einmal Jägerin und Sammlerin gewesen sein musste. Ihre erste Ausstellung war von Erfolg gekrönt, sogar Designer wie Karl Lagerfeld oder Giorgio Armani schauten vorbei.
Ein halbes Jahr vor ihrem Tod begann Apfel mit dem Buch „Colorful“, das sie ihr persönliches Vermächtnis nannte und das 300 private Fotos zeigt. Darin geht es auch um die Suche nach dem Glück. Die schlanke Frau mit dem weißen Kurzhaarschnitt war umtriebig bis zum Schluss, sogar im Rollstuhl und über hundertjährig tauchte sie noch in Fernsehshows auf. Ihren unstillbaren Arbeitswillen begründete sie so: „Wenn ich zur Ruhe komme, werde ich depressiv.“ Sie sagte auch: „Shoppen macht mich glücklich.“ Bei ihr darf das aber nicht als bloßer Konsum verstanden werden: Sie shoppte so, wie Anna Netrebko Töne schmettert, hoch konzentriert und intuitiv.
Die New Yorker nannten Iris Apfel liebevoll Rara Aris, was lateinisch ist und so viel bedeutet wie „seltener Vogel“. Sie liebte Farben und kombinierte alles miteinander. Rund zehn wuchtige Armreifen klapperten an ihren schmächtigen Handgelenken. Eine bunte Brille mit Gläsern so groß wie die Reifen war ihr Signature Piece. Mode trug sie immer mit einer Spur Ironie. Sie war cool, das fiel auch Jüngeren auf. Zu Lebzeiten folgten ihr auf Instagram fast drei Millionen Menschen. Vielleicht auch, weil sie auf alle gängigen Moderegeln pfiff. Predigte doch Minimalistin Coco Chanel, bevor man auf die Straße trete, solle man in den Spiegel schauen und etwas weglassen oder ausziehen – für die französische Designerin war weniger mehr. Iris Apfel feierte das Gegenteil „More is more, and less is a bore“, war ihr Mantra, und sie riet: „Das Leben ist grau und dumpf genug, ziehen Sie sich ruhig bunt an.“
Die späte Mode-Influencerin wurde 102 Jahre alt und starb im März dieses Jahres in ihrem Zweitwohnsitz in Palm Springs. Sie hinterließ dort, ebenso wie in einem Lager und in der Wohnung ihrer Mutter, nahezu Tonnen an „Sachen“. Iris und Carl Apfel waren begütert, hatten sie doch 1950 ein überaus erfolgreiches Textilunternehmen gegründet und Anfang der 90er für eine beträchtliche Summe verkauft. Zur erlauchten Kundschaft zählten Greta Garbo, der Vatikan und das Weiße Haus.
Apfel kannte keine Regeln, Individualität war immer ihr Ding, auch wenn es um das Alter und seine Spuren ging. Schönheitsoperationen lehnte sie ab. Einmal, als das Society-Paar ausging, schaute Carl sich um und meinte: „Baby, du bist die Einzige hier, die noch ihr eigenes Gesicht hat.“ Iris meinte, sie wolle nicht nach einem Eingriff schlimmer aussehen als davor. Sie kenne viele, die nach den OPs nun aussähen wie ein Picasso. Und man habe ihr schon als sehr junge Frau gesagt: Schön sei sie nicht – sie habe aber etwas viel Besseres, nämlich Stil. Und der wird niemals alt.