

Ein Bub will nach oben
Isabella Grossmann in FALTER 5/2012 vom 03.02.2012 (S. 30)
Fleiß, Anstand und Disziplin sind nicht gerade Eigenschaften, die in heutigen Kinderbüchern als erstrebenswert propagiert werden. Genau diese Tugenden begründeten aber die Karriere eines der beliebtesten englischen Schriftsteller. Charles Dickens' Geburtstag jährt sich am 17. Februar zum 200. Mal, seine armselige Kindheit verarbeitete er in vielen seiner Bücher, die autobiografischsten Elemente enthält sein 1849 erschienener Roman "David Copperfield".
Dickens Tochter Kate widmete ihrem berühmten Vater einen liebevollen Bericht über das Zusammenleben mit ihm, bedauerte aber, dass er zu viele Kinder hatte, denn alle seine Romanfiguren eroberten sich zumindest zeitweise auch einen Platz in Gads Hall, dem herrschaftlichen Haus, das Dickens für sich und seine große Familie errichten ließ. So wie Dickens muss auch David Copperfield erst haufenweise Widerstände überwinden, die seinen Glauben an das Gute aber nicht erschüttern können.
David wird, nachdem seine Mutter noch einmal geheiratet hat, von seinem bösen Stiefvater, Mr. Murdstone, gequält, geprügelt und schließlich auf eine Internatsschule geschickt, deren sadistischer Leiter dem Stiefvater in nichts nachsteht. Die Mutter stirbt, und Mr. Murdstone schickt David zum Arbeiten in eine Fabrik, was seine verzweifelte Lage weiter verschlimmert, sodass er sich zur Flucht entschließt und zu Fuß von London zu einer Verwandten nach Dover marschiert. In einem Anwaltsbüro findet er schließlich eine Anstellung, aber auch hier ist das Personal hinterlistig und betrügerisch (der Schreiber Uriah Heep!).
Mithilfe der eingangs beschriebenen Eigenschaften und seines Mentors, Mr. Micawber, gelingt es David jedoch, alles Negative hinter sich zu lassen und auf verschlungenen Pfaden auch noch die wahre Liebe zu erobern. David Copperfield – ein typischer Bildungsroman des 19. Jahrhunderts – ist unverändert lesenswert, vermittelt er doch eine Botschaft, die heute kaum ein Lehrer oder Sozialarbeiter auszusprechen wagt: Du kannst, wenn du willst!
Ist das zu moralisch? Vielleicht. Doch Dickens schreibt nicht einfältig, sondern vielfältig: satirisch, optimistisch, kritisch, herzensgut. (ab 10)