
"Ich hatte Komplexe ohne Ende"
Stefanie Panzenböck in FALTER 45/2025 vom 05.11.2025 (S. 4)
Geht 's noch?", fragt Simon Schwarz im Titel seines Buchdebüts und meint damit uns alle. In den "Betrachtungen eines Überforderten", so der Untertitel, beschäftigt sich der beliebte österreichische Schauspieler und Kabarettist mit Umweltschutz und Klimawandel. Seine Überlegungen dazu präsentiert er anhand der eigenen Biografie respektive jener seiner Mutter.
Elisabeth Schwarz war Anfang der 1970er-Jahre Mitbegründerin der Initiative "Mütter gegen Atomkraft". Ihre Überzeugungen und ihr Aktivismus prägen ihren Sohn bis heute. Klug und unterhaltsam nähert sich "Geht's noch?" einem komplexen Thema mit viel Offenheit und Diskussionsbereitschaft. Von Neugier getrieben, nutzt Schwarz seine Bekanntheit, um mit Leuten ins Gespräch zu kommen. Etwa darüber, warum Kühe das beste Frühwarnsystem für Erdbeben sind.
Gleichzeitig erzählt das Buch auch einiges über den Publikumsliebling abseits des Klimathemas. Zum Beispiel, dass Schwarz ADHS hat und was das in seiner Kindheit bedeutete.
Falter: Herr Schwarz, wie ist das mit den Kühen und dem Erdbeben? Warum spüren diese Tiere Erschütterungen früher als andere Lebewesen und reagieren dann entsprechend darauf?
Simon Schwarz: Warum, weiß man noch nicht genau. Professor Grossmann beackert dieses Themenfeld, ein Katastrophensoziologe an der Uni Graz. Wir sind bei einem Dreh zufällig ins Gespräch gekommen und in Kontakt geblieben. Er hat festgestellt, dass sich Kühe, sofern sie genügend Auslauf haben, vor Murenabgängen, Erdbeben oder Hochwasser immer rechtzeitig in aller Ruhe wegbewegen. Irgendwohin, wo sie sicher sind. Es gibt nach wie vor kein technisches Instrument, das so früh und exakt feststellen kann, wo und wann eine dieser Naturkatastrophen droht.
Warum fasziniert Sie das?
Schwarz: Weil mich die Natur fasziniert. Und weil die Natur in allem besser ist als wir. Das einfachste Gewächs auf dieser Erde ist grandioser als egal welche unserer technischen Entwicklungen. Dass wir zum Mond fliegen und Sonden zum Mars senden können, ist toll. Aber trotzdem schaffen wir es nicht, etwas wie einen Apfelbaum herzustellen - etwas, das mit natürlichen Ressourcen wächst, ohne selbst Ressourcen zu verbrauchen, Lebensmittel abwirft, keinen Müll erzeugt und sich quasi wieder auflöst, ohne in irgendeiner Form einen Schaden zu hinterlassen. Das werden wir auch nie schaffen.
Welchen Schluss ziehen Sie daraus?
Schwarz: Dass die Erde perfekt ist und wir nicht ideal sind für diesen Planeten. Wir als Menschheit müssen uns eine Frage stellen, die der Schriftsteller Max Frisch formuliert hat. Sinngemäß: Wenn niemand mehr auf der Welt ist, den du kennst oder der mit dir verwandt ist, ist es dir dann noch wichtig, dass die Menschheit lebt? Ich finde, ja.
Warum?
Schwarz: Wir Menschen haben eine Qualität, nämlich, dass wir kreativ sind, dass wir Kunst machen können. Und es gibt Kunst, die auch noch in 200 oder 500 Jahren grandios ist, Menschen glücklich macht oder zu Tränen rührt. Klassische Symphonien zum Beispiel. Die sind so grandios wie eine gesunde, intakte Natur.
Die Hauptperson in Ihrem Buch ist Ihre Mutter. Können Sie sie kurz beschreiben?
Schwarz: Meine Mutter wurde 1939 geboren und hatte am Ende des Krieges keinen Vater mehr. Ihre erwachsenen Bezugspersonen waren ihre Mutter und ihre Großmutter. Die Durchsetzungskraft dieser Frauen hat sie sehr geprägt. Meinen Vater hat sie während des Studiums kennengelernt, sie hat Germanistik und Kunstgeschichte studiert. 1968 ist mein Bruder auf die Welt gekommen, 1971 dann ich. Damals ging die Umweltbewegung in Österreich los. Und meine Mutter hat entschieden, dass sie jetzt etwas für ihre Kinder tun muss. Sie hat sich nicht engagiert, um in ihrer Blase gut dazustehen oder sich selbst zu bestätigen, sondern für die Zukunft ihrer Kinder. Mit dem Bau des Atomkraftwerks in Zwentendorf ist es richtig losgegangen. Da hat sie "Mütter gegen Atomkraft" gegründet.
Wobei die Bewegung viel breiter war, als der Name vermuten lässt.
Schwarz: Das war eine auf allen Ebenen diverse Bewegung, sozial, ethisch und politisch. Sie hätte sich nie als Aktivistin bezeichnet, aber genau das war sie. Sie ist auf Demos gegangen, hat Flugblätter und Zeitungen gedruckt, ist in der ORF-Sendung "Club 2" gesessen und hat mit Bruno Kreisky diskutiert.
Wie hat sich dieses Umweltbewusstsein auf das Familienleben ausgewirkt?
Schwarz: Ernährung war ihr wichtig -wie soll ich meine Kinder ernähren? Eingekauft haben wir dann bei Biobauern im Mühlviertel, die damals noch als Spinner galten.
Wieso als Spinner?
Schwarz: Die haben keinen Kredit von der Raiffeisen gehabt und hatten mit dem Bauernbund nichts zu tun. Das war für den Großteil der Menschen unverständlich. Jedes Jahr im Herbst haben wir dort Lebensmittel gekauft, damit wir als Kinder pestizidfreies Gemüse essen konnten. In den 1980ern ist ihr Engagement langsam abgeebbt.
Wie kam es dazu?
Schwarz: Einerseits hat in diesem Jahrzehnt ein großer Umbruch stattgefunden. Der Eiserne Vorhang ist gefallen, es gab eine große Friedensbewegung. Anfang der 1990er hatten viele den Eindruck, dass friedliche Zeiten kommen. Die Demokratie hat gesiegt. Meine Mutter war da skeptisch. Aber sie ist älter geworden und auch gleich zwei Mal Oma, weil ich sehr früh Kinder bekommen habe. Ihr Fokus hat sich verändert.
Wie blickt sie auf die Klimabewegung der Gegenwart?
Schwarz: Fridays for Future fand sie großartig, auch die Lobau-Besetzung. Dieses Engagement hat sie beeindruckt und ihr Hoffnung gemacht.
Menschen, die sich in der Klimabewegung engagieren, wurden in der Öffentlichkeit zuletzt vielfach als "Klimakleber" verunglimpft. Wie sieht sie die Letzte Generation, die radikaler vorgegangen ist als Fridays for Future?
Schwarz: Als sie das erste Mal in den Nachrichten gesehen hat, dass sich Aktivistinnen und Aktivisten auf die Straße kleben und die Autos blockieren, hat sie sofort gesagt, dass das das Schlechteste ist, was sie tun können.
Was hat sie derart gestört?
Schwarz: Sie hat sofort geahnt, dass diese Aktionen auch bei Menschen, die für den Klimaschutz eintreten, Ablehnung hervorrufen werden. "Sie erweisen dem Klimaschutz einen Bärendienst", sagte meine Mutter. Obwohl sie die Aktivisten inhaltlich voll unterstützt hat. Leider hat sie recht behalten. Es hat nur kurze Zeit gedauert, bis die ersten Politiker in Deutschland die Letzte Generation mit RAF-Terroristen verglichen haben.
Ihre Mutter war in einer Zeit aktiv, in der der Pazifismus positiv konnotiert war. Wird er heute zu Unrecht schlechtgeredet?
Schwarz: Europa ist bedroht, das sieht man nicht zuletzt an den Drohnenüberflügen. Und wir Westeuropäer sind leichte Beute, weil wir um jeden Preis Frieden wollen. Um jeden Preis. Ich bin davon überzeugt, dass es der Mehrheit der Bevölkerung lieber ist, in einer Autokratie zu leben als im Krieg.
Wie sehen Sie das?
Schwarz: Ich glaube, bevor ich in einer Autokratie oder Diktatur leben wollen würde, wäre ich eher für Krieg. Da bin ich anders als meine Mutter. Aber sie hat eben auch einen Krieg erlebt und ich nicht. Sätze wie "Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin" können nur in einer traumatisierten Gesellschaft entstehen, in der sie eben aufgewachsen ist. Nimmt man diesen Spruch ernst, gäbe es heute vielleicht keine Ukraine mehr.
Haben Sie jemals gegen Ihre Mutter rebelliert?
Schwarz: Nein, das habe ich mich nicht getraut. Als ich bei der Musterung gefragt wurde, Militär oder Zivildienst, wäre meine innerste Überzeugung gewesen: "Bitte Spezialeinheit". Aber ich wusste, wenn ich das mache, ist meine Mutter zutiefst enttäuscht. Meine einzige Rebellion ist, dass ich Autos toll finde. Und dass, wenn man mich in Deutschland auf die Autobahn lässt, ich mit 250 km/h dahinrase. Aber sonst bin ich einfach d'accord mit meiner Mutter. Außerdem hatte ich eine sehr schwierige Schulzeit, und meine Mutter war die Einzige, die immer da war und immer an mich geglaubt hat. Sie hat gesagt: "Du kannst alles lernen, du brauchst nur länger als die anderen."
Sie haben ADHS und sprechen darüber auch öffentlich. In Ihrer Kindheit gab es diese Diagnose noch nicht. Man galt als schwieriges Kind.
Schwarz: Zuerst habe ich gemerkt, dass in meiner Familie niemand die Probleme hat, die ich habe. Ich war das schwarze Schaf. Aber meine Eltern haben mich immer geliebt. Die Schule habe ich nach den neun Pflichtjahren verlassen und meinen Eltern gesagt, ich werde Schauspieler. Es ist mir nichts anderes eingefallen. Die Scham und die Niederlagen kamen später.
Was ist passiert?
Schwarz: Mit 15 bin ich für die Schauspielausbildung in die Schweiz gezogen. Dort hatte ich ein kleines Budget zur Verfügung, mit dem ich auskommen musste. Ich musste mir ausrechnen, was ich ausgeben darf und was nicht, und ich konnte das nicht. Dann bin ich mit Anfang 20 Vater geworden und habe meine Kinder in Schulen geschickt, in denen viele Akademikerkinder waren. Ich hatte das Gefühl, dass ich nicht mitreden kann. Ich hatte Komplexe ohne Ende. Wenn heute jemand über mich lacht, weil ich falsche Begriffe verwende, ist es mir wurscht. Ich denke mir: "Ich weiß trotzdem mehr als du."
Was leiten Sie aus diesen Erfahrungen für unser heutiges Bildungssystem ab?
Schwarz: Ich möchte nicht im Bildungsministerium sitzen. Aber mir hätte zum Beispiel Projektarbeit geholfen. Man baut ein Boot und lernt dabei rechnen. Man verbringt Zeit auf einem Bauernhof und lernt Biologie. Nicht zielführend ist, dass alle unbedingt Matura machen und studieren müssen.
Warum nicht?
Schwarz: Egal, welchen Bildungsweg man einschlägt, das Wichtigste ist eine solide Grundausbildung, die einem vermittelt, welchen Wert Wissenschaft hat und was diese bewirkt, damit ich ihr vertrauen kann. Ich muss deshalb nicht selbst Wissenschaftler werden.
Sie haben das Buch aus einem Gefühl der Überforderung geschrieben. Was überfordert Sie?
Schwarz: Die Welt.
Die vielen Informationen?
Schwarz: Die Flut an Krisen, die Flut an Wissen über das, was auf uns zukommt. Mein Umgang damit ist, finde ich, ganz vernünftig. Ich informiere mich. Und ich rede darüber, weil ich denke, dass es vielen Menschen ähnlich geht. Weil wir Fehler machen und nicht perfekt sind. Deshalb lasst uns bitte miteinander sprechen.


