
Symbol für schlechten Charakter und Anstand
Matthias Dusini in FALTER 41/2013 vom 09.10.2013 (S. 51)
Ästhetik: Michel Pastoureau hat mit "Blau" der Lieblingsfarbe der Menschheit ein etwas blasses Buch gewidmet
Die Präsenz der Farbe Blau ist groß. Von Hosen der Gattung Blue Jeans bis zum melancholischen Musikstil Blues, vom Bluebox-Verfahren in der Videotechnik bis zu politisch konnotierten Blautönen: Der französische Historiker Michel Pastoureau hatte keine Mühe, seine These zu belegen, wonach Blau die Lieblingsfarbe der Menschheit sei.
Auch entsprechende Umfragen geben ihm Recht. In "Blau" geht er der Frage nach, wie eine über Jahrhunderte hinweg unscheinbare Farbe so in Mode kommen konnte. Die griechisch-römische Antike etwa drückte sich in Rot aus, färbte die für die soziale Wahrnehmung wichtigen Kleiderstoffe in der Farbe des Blutes. Blaue Augen bei Menschen galten als Zeichen eines schlechten Charakters und Schönheitsfehler. Die Abwesenheit des heute so populären Farbtons führte so weit, dass Historiker sich fragten, ob Griechen und Römer "blaublind" waren. Erst Ende des 12. Jahrhunderts taucht Blau vermehrt in der katholischen Kirche auf: in Kirchenfenstern, der Kleidung und der Malerei. Zurückzuführen ist das u.a. auf die Produktion der dafür notwendigen Farbstoffe. In Mitteleuropa wurde aus Pflanzen das sogenannte Waid gewonnen, in Asien und Afrika lieferten die Blätter des Indigostrauchs den gleichnamigen Farbstoff.
Der Autor verweist darauf, wie schwierig es für Farbhistoriker sei, die Konjunkturen von Rot, Gelb oder Blau zu rekonstruieren, da die schriftlichen Quellen darüber wenig verraten. So hätten die entsprechenden Begriffe im Griechischen, Lateinischen oder Hebräischen oft metaphorische Bedeutungen.
In der frühen Neuzeit begann eine Moralisierung der Farben. Bestimmte Stofffarben bleiben Vermögenden vorbehalten, hohen Beamten und Würdenträgern war die Verwendung auffallender und intensiver Farben verboten, ein Pluspunkt für Blau. In der Zeit der Reformation gab es nicht nur einen Bilder-, sondern auch einen "Farbensturm". Im Laufe dieser ästhetischen "Säuberungen" stellten sich nur wenige Farben als anständig und moralisch zulässig heraus: Weiß, Schwarz, Grau und eben Blau.
Als Beispiel führt der Autor den calvinistischen Maler Rembrandt an, der mittels dunkler Nuancen eine Art Farbaskese praktizierte. Auch in der Kleiderordnung wurde die protestantische Ethik sichtbar: Die großen Reformatoren zeigten sich in dunklen, unauffälligen, ja sogar trostlosen Gewändern. Schlüssig vermag der Historiker nachzuweisen, dass diese moralisch
begründete Freudlosigkeit bis in die industrielle Produktion nachwirkte.
Die ersten massenhaft gefertigten Küchengeräte, Schreibmaschinen und Autos waren schwarz, grau, weiß und blau. Eine überzeugende Erklärung für die anhaltende Popularität der Farbe Blau bleibt Pastoureau dem Leser freilich schuldig. Ein wenig Kulturtheorie hätte Farbe in diese doch etwas blass bleibende Historie gebracht.


