

Die Gebärmutter als politische Kampfzone
Nina Horaczek in FALTER 27/2022 vom 08.07.2022 (S. 20)
Abtreibungsverbot, Zwangssterilisation, Gewalt bei der Geburt: Ein neues Buch zeigt auf, wie Frauenrechte global beschnitten werden
Als das zehnjährige Mädchen im August 2020 mit dem Teddy in der Hand die Klinik betrat, tobte die Menge. Katholikinnen und Katholiken, Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten, dazu Evangelikale, sie alle wollten die Klinik stürmen. Auf seinem Weg zur Behandlung wurde das brasilianische Mädchen auch noch als "Mörderin" beschimpft. Denn das Kind, seit seinem sechsten Lebensjahr regelmäßig von seinem Onkel vergewaltigt, war 1500 Kilometer in die Stadt Recife gereist, um einen Schwangerschaftsabbruch durchführen zu lassen. Das Spital in seiner brasilianischen Heimatstadt hatte sich geweigert, die Abtreibung durchzuführen.
Kampf um reproduktive Rechte Nicht erst seit der Entscheidung des USamerikanischen Supreme Court, die Grundsatzentscheidung Roe vs. Wade aufzuheben und damit das grundsätzliche Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch in den USA abzuschaffen, ist die Gebärmutter ein hochpolitischer Ort. Wie sehr und auf welchen Ebenen das Recht auf Selbstbestimmung angegriffen wird, analysiert das neu erschienene Buch "Selbstbestimmt. Für reproduktive Rechte". Die Autorinnen kommen vom Fach: Patricia Hecht und Dinah Riese sind Redakteurinnen der taz mit den Schwerpunkten Geschlechterpolitik, Migration und reproduktive Rechte, Gesine Agena ist Mitarbeiterin der Amadeu Antonio Stiftung zur Stärkung der Zivilgesellschaft.
In ihrem Buch konzentrieren sich die Autorinnen auf vier Bereiche, "die besonders prägend für das Leben eines Menschen sind, der schwanger werden kann: Verhütung, Schwangerschaftsabbruch, Reproduktionstechnologien und Geburt". Sie spannen den Bogen weit, zeichnen nach, wie Bevölkerungspolitik historisch gewachsen ist. So schrieb etwa der britische Pfarrer und Ökonom Robert Malthus 1798, wer seine Familie nicht ernähren könne, solle eben keine Kinder haben. Wer mittel-und arbeitslos sei, der sei "wirklich zu viel auf der Erde".
"Pro Choice" ist nicht genug Das Buch belässt es nicht bei der historischen Beschreibung, sondern liefert ein Gesamtbild der aktuellen Debatten bis hin zur Gewalt, die in Kreißsälen erlebt wird. Es zeigt aber auch auf, von welchem globalen Backlash der Feminismus derzeit betroffen ist und wie es dazu kam.
Die Autorinnen kritisieren auch die Nabelschau von Feministinnen und Feministen im globalen Norden, die vor allem auf das Recht auf Zugang zu Verhütungsmitteln und Schwangerschaftsabbrüchen fokussieren, während im globalen Süden Frauen von der Politik das Recht auf Nachwuchs genommen wird. In Uganda etwa lässt der Staat Frauen per Hormonimplantat für drei Jahre unfruchtbar machen -obwohl die Betroffenen dachten, das Medikament wirke bloß drei Monate lang. Wollen die Frauen das Implantat loswerden, weil es Schmerzen verursacht, sie deswegen Blutungen haben oder weil sie sich ein Kind wünschen, werden sie von den Kliniken weggeschickt oder müssen selbst für die Entfernung zahlen. In Peru wurden zwischen 1996 und 2000 sogar tausende arme und indigene Frauen unter Zwang sterilisiert.
Neben den vielen spannenden Zahlen und Fakten, die von den Autorinnen so geschickt in den Text eingewebt wurden, dass einen die geballte Information nicht erschlägt, ist es der globale Blick, der dieses Buch so besonders macht. Es ist nicht nur ein gut recherchierter Überblick über die feministischen Kämpfe der Jetztzeit, sondern auch ein Blick hinaus aus der weißen, europäischen Feminismus-Bubble.