

Wir sind hier, um woanders hinzugehen
Ulrich Rüdenauer in FALTER 49/2017 vom 06.12.2017 (S. 36)
Geoff Dyer, der mit „But Beautiful“, einer poetischen Hommage an den Jazz, bekannt wurde, verfügt über schier grenzenloses Interesse: Keines seiner Bücher ähnelt dem anderen. Mal erzählt der 1958 geborene Brite von einem Kunstkritiker, der sich im Biennale-Zirkus von Venedig verirrt, mal von Andrei Tarkowskis Film „Stalker“, mal von der Unmöglichkeit, eine Studie über D.H. Lawrence zu verfassen. Immer aber schreibt er dabei auch über sich. Oder besser: über das, was einen zu dem macht, was man ist – die Kunst und die Neugier, die Widersprüche und Einbahnstraßen, in die man leichtfertig einbiegt. Sein neues Buch „White Sands“ macht da keine Ausnahme. Dyer geht darin auf Reisen und begibt sich in die Welt der bildenden Kunst. Er lässt sich von Plattencovers inspirieren, sucht nach dem Nordlicht und dem Zauber von Land-Art-Werken wie den „Lightning Fields“, einem Lichtprojekt in New Mexico. Er begibt sich auf die Spuren Gauguins in Polynesien und auf die Adornos im kalifornischen Exil. Und all das mit Assoziationsreichtum und nie endender Lust an der Improvisation. Man hat manchmal den Eindruck, Dyer habe zwar, wie ein Jazzmusiker, ein Songgerüst. Dann aber ist alles möglich, nichts ist vorhersehbar.
Dyers Geschichten bewegen sich an der feinen Grenzlinie zwischen Komik und Melancholie. Der Humor kann dabei durchaus etwas Bitteres haben, die Schwermut etwas Leichtes. Und auch „White Sands“, eine Zusammenstellung verschiedenster Texte und Textsorten, eine „Mischform aus fiktionaler Erzählung und Sachbuch“, ist kein Reiseführer ins Glück. Es macht uns vielmehr auf charmante Weise mit dem Flüchtigen, mit dem Verschwindenden und sogar dem eigenen Verschwinden vertraut.
Der Reisende scheint dafür einen besonderen Sinn zu haben. Wir seien eben hier, heißt es einmal, „um woandershin zu gehen“. Eine Erkenntnis beschließt dieses wunderbar reiche, kluge und weitschweifige Buch wie ein Motto: „Das Leben ist so interessant, dass ich gern für immer bleiben würde, nur um zu sehen, was passiert, worauf das alles hinausläuft.“