Lieber Niels

764 Seiten, Hardcover
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ISBN 9783835309098
Erscheinungsdatum 03.03.2011
Genre Belletristik/Gegenwartsliteratur (ab 1945)
Verlag Wallstein Verlag
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Wallstein Verlag GmbH
Geiststr. 11 | DE-37073 Göttingen
info@wallstein-verlag.de
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Kurzbeschreibung des Verlags

Ein Überfall auf die Leserschaft. Exzentrisch, egoman und extravagant. Ein Mahlstrom der Zeit. Hinreißende Literatur.

Dieses Buch gönnt dem Genre Roman eine Pause. Es sprengt dessen Grenzen und kreiert ein ganz eigenes Format. Ein Tagebuch? Ja, aber...Fast täglich schreibt Zschokke zwischen 2002 und 2008 auf, was ihm durch den Kopf geht und festgehalten werden muss: Es sind Auseinandersetzungen mit der Welt, der Zeit, der Literatur, mit der Musik, dem Theater, der Kunst: Kollegenbeschimpfungen, Reiseberichte, ja, sogar politische Marginalien.
Aber all das ist nicht zur Selbstreflexion bestimmt, sondern hat ein Du. Was Zschokke notiert, ist für ein Gegenüber, den Freund Niels, bestimmt. Also ein Briefroman in seiner modernen Form, der Mail? Ja, aber...Niemals waren die Mails, als sie geschrieben wurden, zur Veröffentlichung bestimmt. Das erklärt ihre Frische und Spontaneität. Der sie schreibt, ist ein wacher, staunender, spöttisch ironischer und selbstironischer Mensch. Er fragt etwas, sich selbst oder das Gegenüber, er probiert Antworten, poltert los, nimmt alles zurück und kommt zu ganz neuen Einsichten. Und Fragen! Eine mitreißende Neugier zieht sich durch alles, und man selbst gerät ins Staunen und sieht plötzlich klarer auf die Dinge. Eine Fundgrube ist dieses Buch, ein Wunderding.

Ab Mitte Januar 2011 vorab unter www.lieberniels.wordpress.com

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FALTER-Rezension

Überschätzt: Goethe und das Zähneputzen

Jörg Magenau in FALTER 10/2011 vom 09.03.2011 (S. 26)

Entlarvend, erschütternd und erzkomisch: Matthias Zschokke mailt sich das Gewicht der Welt vom Herzen

Die Disziplin der Kollegenschelte ist in der literarischen Zunft mit einem strengen Tabu belegt. Zwar weiß jeder, dass außer ihm selbst eigentlich keiner was taugt. Öffentlich aussprechen mag es aber niemand, weil es mit einem hohen Risiko, mit Neidunterstellung und Verbitterungsverdacht verbunden ist. Matthias Zschokke hat dieses Tabu nun gründlich gebrochen. Der 1954 in der Schweiz geborene Autor, der seit 1980 in Berlin lebt und sich doch eigentlich eher für die leiseren Töne zuständig fühlt, legt mit "Lieber Niels" ein Werk vor, in dem er auf alle Rücksichtnahme vorsätzlich verzichtet.

"Unbedingt mehr verwildern in allem, was ich tue!", lautet die entsprechende Lebens- und Schreibmaxime, und dass er es ernst damit meint, deutet bereits der Umfang von 800 Seiten an. Es handelt sich um E-Mails an den Kölner Freund Niels Höpfner aus den Jahren 2002 bis 2009. Man kann sie als eine Art Tagebuch lesen, das allerdings an ein Gegenüber adressiert ist.
Von einem Brief unterscheidet sich ein E-Mail durch die höhere Geschwindigkeit und Unkontrolliertheit; es kann ja durch das nächste sofort relativiert werden. Und dass Zschokkes Mails niemals zur Veröffentlichung gedacht gewesen seien, versichert der als eine Art Herausgeber fungierende Niels Höpfner, der sein Dasein ebenfalls als Autor, Publizist, Kritiker und so weiter fristet.
Höpfner ist für Zschokke etwa das, was im letzten Jahrhundert der vornehme F.W. Oelze für den Briefschreiber Gottfried Benn gewesen ist: ein verehrender, manchmal Einspruch erhebender Gesprächspartner in geziemender Ferne. Unter dem Titel "Ein sanfter Rebell" hat er eine umfangreiche Homepage über Zschokke erstellt, von der in dem Mailkonvolut immer wieder in ergriffenem, dankbarstem Ton die Rede ist. Auch Peinlichkeiten werden hier nicht zensiert.
Zschokkes Mails (die von Höpfner fehlen) wurden leicht gekürzt und überarbeitet, bleiben aber dennoch ein unverfälschtes Dokument spontaner und alltäglicher Lebensäußerungen eines Schriftstellers, der mit sich, den anderen und dem Literaturbetrieb zu kämpfen hat. Seine Einschätzungen muss man nicht unbedingt immer teilen, um Freude an ihnen zu haben. Es geht dabei ja nicht um Gerechtigkeit.
Sigmund Freud bezeichnet Zschokke als Einfaltspinsel, Sekundärdenker, Langweiler, mindestens so überschätzt wie Goethe. Peter Weiss: grottenschlecht, ein humorloser Kursleiter für Marxismus an der Volkshochschule Lübeck. Christa Wolf: "Als ich einmal mit ihr zusammen eingeladen war, las ich vorher alle Bücher von ihr, weil ich dachte, das gehöre sich so – und starrte sie daraufhin den ganzen Abend wütend an, weil ich die Bücher so grauenvoll gefunden habe." Robert Gernhardt: "nicht schlecht, aber immer ein klein bisschen ranzig". Günter Kunert: "mag ich nicht (auch nicht – ich mag ja fast keinen)".
Auch die Gegenwartsgarde kommt nicht besser weg: Felicitas Hoppe: "Fräuleinliteratur". Peter Stamm: "argloser Stimmenimitator". Botho Strauß: Pose, Gespreiztheit. Und Brigitte Kronauer: "Nein, Mittelmaß ist das nicht, aber Rainer-Virginia Proust, eine Mischung aus Mayröcker und Thomas Mann, mit einer Prise Joyce, alles auf dem neuesten Stand der germanistischen Forschung."
So viel "mag ich nicht" wäre ziemlich unerträglich, wenn man es von einem Menschen wie, sagen wir, Thomas Mann zur Kenntnis nehmen müsste, der von der hohen Kanzel der Selbstgerechtigkeit herab doziert. Zschokke jedoch gehört in eine andere Linie von Autoren, die sich eher von Robert Walser ableitet und die eigene Nullundnichtigkeit durchschaut hat. "Ich habe nichts zu sagen", beteuert Zschokke immer wieder, "mir fällt nichts mehr ein." Aber: "Ich glaube, die wenigsten haben etwas zu sagen. Und das auszuhalten und zuzugeben, dieses Nichts-zu-sagen-Haben, kommt mir mal wieder als meine Hauptaufgabe vor."
Es ist demnach leicht nachzuvollziehen, dass Melvilles Bartleby zu Zschokkes liebsten literarischen Helden gehört, ein Mann, der dem Gesellschaftstreiben und allen Arbeitsanforderungen mit dem schlichten Satz "Lieber nicht!" zu entkommen sucht. Oh ja, Bücher und Autoren, die Zschokke gefallen, gibt es schon auch: Wilhelm Genazino gehört dazu, Andrzej Stasiuk, vor allem aber Peter Handke und eben Robert Walser.

Zschokkes literarische Präferenzen führen weg vom Inhalt, von Handlung, vom Gefälligen, leicht Konsumierbaren. "Aufregende Sätze" will er stattdessen lesen und schreiben, Texte, in denen einer etwas von sich preisgibt. Haltung und Stil also statt Handwerk und Standardware. Mit der Gattung "Roman" hat er folglich seine Schwierigkeiten und überhaupt mit allem, was an den Markt und die unvermeidliche Produkt-Form von Literatur erinnert.
Trotzdem hofft Zschokke von Buch zu Buch (für den Zeitraum, um den es hier geht, sind das vor allem der sogenannte Roman "Maurice mit Huhn" und der Reportagenband "Auf Reisen") auf den großen Durchbruch, auf Geld und Berühmtheit. Dabei würde er sich sehr gerne schon den Lesungen und Auftritten, die er als Autor zu absolvieren hat, mit einem "Lieber nicht!" entziehen und schätzt seine Lage realistisch ein: "Ich fürchte, was mit mir bislang passiert (ein Buch kommt in 3000 Exemplaren auf den Markt, keine Reklame, nichts; ein paar werden verkauft, der Rest bleibt liegen), ist genau das, was mit mir möglich ist."

Schuld daran ist naturgemäß vor allem der Verleger Egon Ammann, der sich noch nicht einmal schämt, vor Zschokke von seinem Erfolgsautor, dem Kitschschriftsteller Eric-Emmanuel Schmitt, zu schwärmen. Andererseits versteht es Ammann, in Zschokke immer wieder neue Hoffnung zu entfachen, ihn zu loben und zu umgarnen, wenn der Autor wieder einmal mit dem Gedanken spielte, den Verlag zu wechseln.
So geht das durch die Jahre – fast so wie zwischen Siegfried Unseld und Thomas Bernhard, nur dass das Geld für Zschokke keine so überragende Rolle spielt und sein Furor des Hassens weniger ausgeprägt ist. Er möchte halt genug verdienen, um die Miete im Wedding bezahlen zu können, ohne von Almosen leben zu müssen. Und für gute Restaurants soll es reichen.
Der Verleger kommt nicht gut weg, und das Buch hätte demnach wohl auch kaum im Ammann Verlag erscheinen können. Dessen Ende vor gut einem Jahr und der folgende Wechsel Zschokkes zu Wallstein ist also eine Voraussetzung dieser Publikation.
"Lieber Niels" liefert ein ungeschöntes Bild der Psyche, Lebensweise und der sozialen Randlage eines Literaturmenschen, der diese Randlage zugleich als ihm angemessene Stellung befürwortet. Dort ist er als Flaneur mit dem Fahrrad unterwegs, fährt während der WM an der Fanmeile vorbei, genießt die aufgewühlte Stimmung in der Stadt, bleibt aber stets der Einzelgänger, der zu Silvester um 22 Uhr zu Bett geht und an seinem 50. Geburtstag den ganzen Tag herumspaziert, um nur ja keine Glückwünsche entgegennehmen zu müssen. Weil es zu mühsam geworden ist, wäscht er sich nur noch einmal in der Woche und schränkt seine Sozialkontakte weiter ein. Selbst das Zähneputzen hat sich irgendwann in eine unangemessene Anstrengung verwandelt.
Das Verwildern, das Zschokke anstrebt und auch umsetzt, spiegelt zugleich den Prozess des Älterwerdens: Die Zähne brauchen neue Füllungen, der Kopfschmerz nach abendlichen Trinkereien wird immer schlimmer, das pure Existieren ist eine ermüdende Herausforderung. Und doch trotzt Zschokke Tag für Tag der Zeit und der Vergänglichkeit neue Texte ab, auch wenn es nur ein Mail ist. "Lieber Niels" ist bei aller Grundtraurigkeit des Daseins vergnüglich, bei aller schlechten Laune sympathisch und bei aller Marktskepsis unterhaltsam – also genau das, was Literatur ausmacht.

Niels Höpfner: Ein sanfter Rebell
www.angelfire.com/ms/zschokke/Titel.html

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