

Blaue Geschichtsschreibung mit doppelter Zunge
Alfred Pfoser in FALTER 39/2019 vom 27.09.2019 (S. 30)
Die Historikerin Margit Reiter legt eine Biografie der FPÖ vor. Ihre Parteigeschichte beschämt die FPÖ-Historikerkommission
So kann es auch gehen! Was die ominöse FPÖ-Historikerkommission nach der „Liederbuch-Affäre“ nicht und nicht liefern kann und will, legt jetzt eine Zeithistorikerin für den wichtigen Zeitabschnitt 1945 bis etwa 1965 im Alleingang vor. Wie Margit Reiter, ab diesem Herbst Professorin für Europäische Geschichte an der Universität Salzburg, in einer material- und detailreichen Monografie ausbreitet, steht die FPÖ vor einem unübersehbaren vergangenheitspolitischen Dilemma.
Im Außendiskurs passt sich die Partei an, gibt sich staatstragend, demokratisch, auch, wenn es denn sein muss, antifaschistisch oder beschwört gar die 1848er-Tradition. Im Innenleben und bei der „Traditionspflege“ schaut es freilich anders aus. Die sogenannten „Einzelfälle“ gaben und geben eine Ahnung davon, wie die Herkunft der Partei und ihrer Mitglieder bei allen Verwandlungen weiterhin lebendig bleibt.
Der Doublespeak war, worauf Margit Reiter wiederholt hinweist, ein steter Begleiter der freiheitlichen Geschichte. Schon die Vorgängerorganisation, der kurz vor der Nationalratswahl 1949 gegründete Verband der Unabhängigen (VdU), war gefangen in der Logik der Doppelzüngigkeit: Die Partei-
gründer, Herbert Kraus und Viktor Reimann, gaben sich liberal, distanzierten sich, auch mit Hinweis auf eigene leidvolle Erfahrungen, vom Unrechtsregime des Nationalsozialismus, gleichzeitig war ihr Hauptanliegen der lautstark vorgetragene Kampf gegen die Entnazifizierung.
So lange die alliierten Mächte im Land waren, übten sich die „Ehemaligen“ in einer gewissen Zurückhaltung. Aber deren Abzug 1955 machte den Sturz der VdU-Führung und die Quasi-Neugründung der Partei möglich. Allein dass Anton Reinthaller, Minister im „Anschluss“-Kabinett 1938, zum Parteiführer aufrückte, signalisierte, dass sich die FPÖ auf die alten Kämpfer und NS-Multifunktionäre besann und zur ausgesprochen „rechten“ Weltanschauungspartei wurde.
Im Buch gibt es dazu viel biografisches Material, viele bekannte Namen aus der reichlich zersplitterten bis zerstrittenen FPÖ-Szene tauchen auf, Karrieren und Netzwerke werden skizziert. Reinthallers bisher nicht gesichtete Aufzeichnungen geben Einblick in die wohl gängigen Denkstrukturen der „Ehemaligen“. Am Antisemitismus seien vor allem die Juden schuld gewesen, an „exzessiven Maßnahmen“, das heißt dem Holocaust, der kleine Kreis um Hitler. In einem eigenen Kapitel zeigt Reiter, wie die FPÖ nach 1955 mit dem nunmehr verpönten Antisemitismus umging. Die offenen Äußerungen verschwanden nach und nach und machten einer verdeckten bzw. verschämten Wortwahl Platz. Friedrich Peter, der 1958 nach Reinthallers Tod die Parteiführung übernahm, bekannte sich immer stolz zu seiner nationalsozialistischen Vergangenheit, rechtfertigte die Aktionen der Waffen-SS mit „Eidestreue“.
Der politische Kampf der „Ehemaligen“ war, wie Reiter bilanziert, in den 1950er-Jahren erfolgreich. ÖVP und SPÖ zogen mit, die Entnazifizierung abzudrehen. Alle juristischen Restriktionen wurden aufgehoben, die Prozesse gegen NS-Kriegsverbrecher verschleppt, Verurteilte amnestiert. Auf der materiellen Ebene ging es um verbesserte Pensionsregelungen, um Besserdotierung der Kriegsopferfürsorge, während man gleichzeitig den jüdischen Mitbürgern eine „Wiedergutmachung“ mit denunzierenden Äußerungen absprach. In den Grundzügen mag man diese Geschichte gekannt oder geahnt haben; mit Margit Reiters Arbeit haben wir nun eine gründliche, facettenreiche Darstellung, die den historiografischen Eiertanz der FPÖ-Historikerkommission beschämt, freilich nicht Detailstudien (etwa zu den Burschenschaften) ersetzt.