
Der Vorwand für Wladimir Putin
Erich Klein in FALTER 12/2025 vom 19.03.2025 (S. 31)
Unser Vater ist Bandera, unsere Mutter ist die Ukraine“, singt das Land am Dnipro bis heute. Nationalheld für die einen, Faschist und Antisemit für die anderen, ist der 1909 geborene Stepan Bandera bis in die Gegenwart Gegenstand wilder Dispute. Der Kult um ihn diente Wladimir Putin gar als „Legitimation“ seines Angriffskriegs auf die Ukraine. Der deutsch-polnische Historiker Grzegorz Rossoliński-Liebe hält Letzteres für billige Kriegspropaganda und dekonstruiert den hausgemachten ukrainischen Bandera-Kult.
Schon früh begeistert sich Bandera für die Idee eines ukrainischen Staates und schließt sich im mittlerweile zu Polen gehörigen Lemberg der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) an, deren Propagandaapparat er bald leitet. Der 23-Jährige wird im Kampf gegen die Polonisierung Ost-Galiziens 1932 erstmals verhaftet, für das Organisieren der Ermordung des polnischen Innenministers verbringt er Jahre im Gefängnis.
Die Westukraine, im Zuge des Hitler-Stalin-Pakts 1939 von den Sowjets besetzt, hofft auf einen eigenen Staat von Gnaden Hitlers. Banderas Anhänger beteiligen sich zwar auf Seiten der Wehrmacht am Kampf gegen den sogenannten „jüdischen Bolschewismus“, Bandera selbst wird aber von den Nazis verhaftet und landet als relativ privilegierter „Ehrenhäftling“ im KZ Sachsenhausen.
Rossoliński-Liebe beschreibt minutiös die Weltanschauung Banderas, der „revolutionären Terror“ predigt, und stellt die ideologische Entwicklung des ukrainischen Freiheitskampfes in den Kontext der europäischen Faschismen der Zeit. Große Aufmerksamkeit widmet er dem im Schatten des Zweiten Weltkriegs sich entfaltenden polnisch-ukrainischen Konflikt, der im Westen kaum bekannt ist: Die OUN und ihr militärischer Flügel, die Ukrainische Aufständischen-Armee, veranstalten unter Juden und Polen regelrechte Gemetzel. Rossoliński-Liebe weist jedoch explizit darauf hin, dass die „Haupttäter des Holocaust in der Westukraine“ nicht ukrainische Nationalisten, sondern die deutschen Besatzer waren.
1944 wird Bandera entlassen und in Berlin unter Hausarrest gestellt. Angesichts der drohenden Niederlage des Nationalsozialismus propagiert er den „Abwehrkampf gegen die anstürmenden bolschewistischen Horden für die Freiheit Europas“. Im Sommer 1945 nimmt Bandera Kontakt mit westlichen Geheimdiensten auf; nun lautet das Motto „Rollback des Kommunismus“. Nur ein großer Krieg könne die Unabhängigkeit der Ukraine ermöglichen, Stalins Drohung mit der Atombombe sei nur Bluff.
1959 wird Bandera in München von einem KGB-Agenten ermordet, es beginnt ein bis heute praktizierter Kult mit unzähligen Denkmälern, Museen und (mit wenigen Ausnahmen) Geschichtsklitterungen durch ukrainische Historiker. Rossoliński-Liebes Resümee: Die Verherrlichung des Nazikollaborateurs habe „die Demokratie in der Ukraine insgesamt geschwächt und kein gutes Licht auf den Umgang des Landes mit Holocaust, Zweitem Weltkrieg, Antisemitismus und Faschismus geworfen“.


