Vom Frosch

Eine Kulturgeschichte zwischen Tierphilosophie und Ökologie
400 Seiten, Taschenbuch
€ 25.5
-
+
Lieferung in 7-14 Tagen

Bitte haben Sie einen Moment Geduld, wir legen Ihr Produkt in den Warenkorb.

Mehr Informationen
Reihe Edition Kulturwissenschaft
ISBN 9783837616422
Erscheinungsdatum 01.03.2011
Genre Geisteswissenschaften allgemein
Verlag transcript
LieferzeitLieferung in 7-14 Tagen
HerstellerangabenAnzeigen
transcript Verlag
Hermannstraße 26 | DE-33602 Bielefeld
live@transcript-verlag.de
Unsere Prinzipien
  • ✔ kostenlose Lieferung innerhalb Österreichs ab € 35,–
  • ✔ über 1,5 Mio. Bücher, DVDs & CDs im Angebot
  • ✔ alle FALTER-Produkte und Abos, nur hier!
  • ✔ hohe Sicherheit durch SSL-Verschlüsselung (RSA 4096 bit)
  • ✔ keine Weitergabe personenbezogener Daten an Dritte
  • ✔ als 100% österreichisches Unternehmen liefern wir innerhalb Österreichs mit der Österreichischen Post
Kurzbeschreibung des Verlags

Nichts ist heute dringlicher als die Frage nach unserem Verhältnis zur Natur und insbesondere zum Tier. Ein neues Denken ist vonnöten, das den Menschen und seine Kultur fundamental ökologisch begreift. Die aktuellen Diskurse um Tierphilosophie, Ökologie und Spiegelneuronen geben einer zeitgemäßen Kulturtheorie zu verstehen, dass das Menschsein immer schon von seiner historischen Beziehung zum Tier bestimmt war. Gerade die Kulturgeschichte des Frosches, in dem der Mensch sich selbst nicht wie im Affen narzisstisch wiederzuerkennen vermag, liest sich wie ein Spiegelbild der Geschichte der Zivilisation und ihrer gefährlichen Entfremdung von der Natur: Vom magischen Fruchtbarkeitssymbol in den frühen Kulturen wurde der Frosch im christlichen Mittelalter zum Inbegriff des Bösen und Hässlichen umgedeutet – um schließlich in der wissenschaftlich-technischen Welt als Labortier vernutzt und im ökologischen Desaster vom Aussterben bedroht zu werden. Doch auf dem Höhepunkt der Öko-Krise gibt die Kulturgeschichte des Frosches auch Anlass zur Hoffnung: Im Tierbild der Gegenwart wird der »Ökofrosch« zum Totemtier der Umweltbewegung. Ist er das Zeichen für das Aufbrechen eines neuen, eines wahrhaft ökologischen Zeitalters?Die Kulturgeschichte des Frosches gibt uns nicht weniger zu denken als die Zukunft der Natur.

Mehr Informationen
Reihe Edition Kulturwissenschaft
ISBN 9783837616422
Erscheinungsdatum 01.03.2011
Genre Geisteswissenschaften allgemein
Verlag transcript
LieferzeitLieferung in 7-14 Tagen
HerstellerangabenAnzeigen
transcript Verlag
Hermannstraße 26 | DE-33602 Bielefeld
live@transcript-verlag.de
Unsere Prinzipien
  • ✔ kostenlose Lieferung innerhalb Österreichs ab € 35,–
  • ✔ über 1,5 Mio. Bücher, DVDs & CDs im Angebot
  • ✔ alle FALTER-Produkte und Abos, nur hier!
  • ✔ hohe Sicherheit durch SSL-Verschlüsselung (RSA 4096 bit)
  • ✔ keine Weitergabe personenbezogener Daten an Dritte
  • ✔ als 100% österreichisches Unternehmen liefern wir innerhalb Österreichs mit der Österreichischen Post
FALTER-Rezension

Wie sich der Frosch zur Macht verhält

Matthias Dusini in FALTER 14/2011 vom 08.04.2011 (S. 38)

Der Germanist Bernd Hüppauf über den Frosch als perversen Teufel und Engel der Ökobewegung

"Öök…öök…öök", schallt es aus den Teichen. Der Frühling und die Ökoeuphorie machen die Kröte zum Tier der Stunde. Die ersten warmen Tage sind die Zeit des fröhlichen Fröschefickens, das in Wien auf wenige Biotope beschränkt bleibt. Die Stadt Wien errichtete sogar eigene Tunnels, um die Lurche vor dem Tod im Straßenverkehr zu bewahren (siehe auch Kasten rechts). Pünktlich zur Froschlaichzeit legt der Berliner Germanist Bernd Hüppauf eine Kulturgeschichte des Frosches vor. Wir baten den emeritierten Professor ans Telefon.

Falter: Herr Hüppauf, was ist der Unterschied zwischen Frosch und Kröte?
Bernd Hüppauf: Die beiden sind biologisch beinahe identisch. Faktisch ist die Kröte ein bisschen runder, hat kürzere Hinterbeine und kann nicht so weit springen wie der Frosch. Auch haben Frösche im Allgemeinen keine Giftwarzen in der Haut.
Sie haben lange Zeit in New York gelebt. Gibt es dort Frösche?
Hüppauf: In New York kann man erleben, was der – dramatisch gesprochen – Krieg gegen die Natur anrichtet. Ich habe in den 14 Jahren, in denen ich dort gelebt habe, nicht einmal eine Fliege gesehen. Es gibt dort keine Tiere, abgesehen von den Squirrels. Das sind Baumratten, die in Amerika das europäische Eichhörnchen vertreten. Kein Amphibientier würde sich bei der Umweltverschmutzung und der Übersalzung im Winter halten können.
An der Kanzel des Wiener Stephansdoms sind Steinfrösche zu sehen. Haben Sie eine Erklärung dafür, wie solche Tiere in gotische Kirchen kamen?
Hüppauf: Der Frosch wird in der spätromanischen und gotischen Skulptur mit dem Bösen identifiziert. Es gibt Darstellungen vom Teufel, da wird er von vorne als schöner Jüngling gezeigt, auf der Rückseite sieht man allerhand Gewürm, darunter den Frosch.
Wie konnte so ein harmloses Tier so viel Angst verbreiten?
Hüppauf: Das ist in Europa anders als etwa in Japan oder Afrika. Die Christianisierung hat vorchristliche, pagane Bilder nicht einfach weggeworfen. Das Tier der Fruchtbarkeit wird im Mittelalter umgewertet. Es bleibt das Tier der Vermehrung, aber im Zuge der Negativierung der Sexualität gerät der Frosch in diese Umwidmung der Ikonografie ins Böse.
Er stand für das Böse, in der ökologischen Ethik ist er der Inbegriff des Guten. Man könnte sagen: So wie in der christlichen Ethik den Armen das Himmelreich gehörte, gehört es nun den Kröten?
Hüppauf: Im christlichen theologischen Denken sollen die Armen und Unterdrückten im jenseitigen Leben belohnt werden. Der Frosch und die Kröte gelten in der christlichen Theologie aber als das Böse. Eine Umkehrung von der Verkörperung des Bösen zum unterdrückten Lebewesen hat es in der Theologie nicht gegeben. Sie entsteht erst in der Umweltbewegung.
Wie kam es dann zum Ökofrosch?
Hüppauf: Der Ökofrosch geht auf den Bruch mit der theologischen Tradition einerseits und dem wissenschaftlichen Bild vom Frosch andererseits zurück. Der Frosch
ist in der volkstüm­lichen Vorstellung
nicht mehr mit dem Bösen der Kirche,
sondern mit dem Hässlichen der Ästhetik verbunden; in der Wissenschaft verliert
er diese Wertung. Der Ökofrosch ist das Erbe der Enttheologisierung und Entsakralisierung des Naturbildes seit dem 17. Jahrhundert.
Vor zwei Wochen wurde in Baden-Württemberg Winfried Kretschmann zum ersten grünen Ministerpräsidenten gewählt. Hat der Ökofrosch in Deutschland die Macht übernommen?
Hüppauf: Das Verhältnis Frosch und Macht ist kompliziert. Er war lange Zeit Opfer und zugleich furcht­erregender Täter. Mensch und Frosch können im ökologischen Weltbild als solidarisch im Kampf gegen die Gigantomanie des Technologieglaubens gedacht werden. In diesem Sinne gewinnt er tatsächlich so etwas wie Macht – als Gegenmacht gegen das Herrschende. Das aus der Geschichte heraus zu argumentieren, ist das Ziel meines Buches.
In den letzten Wochen war viel von der Atomlobby die Rede. In Ihrem Buch beschreiben Sie die Zerstörungen des Autoverkehrs. Ist heute der Fortschritt das Böse?
Hüppauf: Diese These eines Umschlagens ist seit Hans Jonas Buch über Verantwortungsethik für die technische Zivilisation immer wieder vertreten worden. Was ursprünglich einmal das Projekt der Befreiung von den Zwängen der Natur war, hat sich in eine Bedrohung verkehrt. Es ist die Rückkehr des Bösen nicht als gefallener Engel, sondern als Kollateralschaden des eigenen Handelns.
Dürfen wir essen, was wir gut finden?
Hüppauf: Das kann ich mit einem einfachen Nein beantworten. Dieses Nein muss aber gleich eingeschränkt werden. Selbst wenn wir zu den bekennenden Tierschützern gehören, ist das menschliche Leben ohne tierische Nahrung schwer vorzustellen. Nur Vegetarier und Veganer, das ist eine Utopie, von der man wohl Abschied nehmen muss. Franz von Assisis Utopie einer völlig befriedeten Natur, wo Mensch und Tier in Harmonie miteinander leben, lässt sich nicht erreichen.
"Der Frosch wird auf verdammte Weise geküsst, von den einen auf das Hinterteil, von anderen aufs Maul, wobei sie die Zunge und den Speichel des Untiers in ihren Mund nehmen." Was ist das denn?
Hüppauf: So wird in einem päpstlichen Brief der Initiationsritus der Katharer beschrieben. Das sind jene, die von der Kirche abgefallen sind. Die Ketzer praktizieren in der Vorstellung der Kirche eine große Nähe zum Teufel, repräsentiert durch den Frosch. Da verbindet sich beides: der Frosch und der Ketzer als Vertreter des Antichristlichen und zugleich dieser negativ besetzten Sexuallust. Die katholisch-christliche Abwertung von Minderheiten, des Andersseins wird mit dem Frosch als dem Negativsymbol des Sexuellen verbunden.
Im selben Maße, in dem die Frösche ihre Bedrohlichkeit verlieren, werden andere Subjekte zum Inbegriff des Bösen. Ist der Islamist mit den vielen Kindern die Kröte der Gegenwart?
Hüppauf: Ich wäre da vorsichtig. Der islamische Fundamentalist rutscht vielleicht aus der christlich-europäischen Perspektive in die Rolle des Ungläubigen hinein, die mit dem Frosch im Mittelalter verbunden worden ist. Ich weiß aber nicht, ob die Ikonografie so einen Vergleich zulässt.
Ich zitiere: "Guck nit üm, was Schwarzes kümt!" Da könnte man an eine Burka denken.
Hüppauf: Ah ja, vielleicht. Mhm. Da übernimmt die Frau im schwarzen Schleier die Rolle der Hexe. Das sind assoziative Übereinstimmungen, aber ich würde keine allzu nahen Verbindungen herstellen.
Woher kommt dieser Spruch von dem Schwarzen, dessen Anblick gefährlich ist?
Hüppauf: In der Schulmedizin galt über Jahrhunderte hinweg die Kröte als das sichtbare Zeichen des Uterus. Der Uterus wurde gedacht als Kröte, die im Unterleib der Frau wohnt und sich dort bewegt. Gleichzeitig wurde der Frosch gedacht als das Böse außerhalb der Frau. Der Blick auf den Frosch zu einem unglücklichen Zeitpunkt während der Schwangerschaft barg die Gefahr, dass der Fötus deformiert wird und eine froschartige Figur annimmt. Es gab die Furcht, dass über die Augen das Böse und Hässliche in den Uterus gelangen könnte.
Heute sind Frösche in Wien nur mehr in wenigen Biotopen zu finden. Wie war das in den vormodernen Städten?
Hüppauf: Bis weit in die Neuzeit hi­nein war der Frosch allgegenwärtig. Ein Element der Industrialisierung besteht darin, dass europäische Landschaften trockengelegt wurden. Damit verschwanden die natürlichen Lebensräume der Amphibien. Das Gewimmel der Frösche hat man sich so vorzustellen: Im Frühjahr, zur Zeit der Froschlaich, waren die Wiesen übersät von tausenden Fröschen, die ans Wasser wanderten. Auch in den Haushalten gab es welche. Man ging auf die Toilette, und in der Ecke saß ein Frosch. Es gab kein nichtdomestiziertes Tier, das im Alltag so präsent war wie der Frosch – über das Sehen und die Töne, das Froschkonzert, das nicht als Konzert, sondern als widerliches und entnervendes Gequake wahrgenommen wurde.
Ein Klassiker des Biologieunterrichts ist die Sezierung eines Frosches, um elektrische Ströme zu zeigen. Wie kam es dazu?
Hüppauf: Der Frosch wird vom späten 17. Jahrhundert an verstanden als ein Mustertier, an dem durch Sektionen in den Labors Naturphänomene sichtbar gemacht werden können. Es gab die Vorstellung, dass die neuronalen Prozesse im menschlichen Organismus auf die gleiche Weise in den Körpern der Lurche ablaufen, wenn auch in vereinfachter Form. Die Kenntnisse über diese Prozesse könnten dann in das komplexere Nervensystem des Menschen übertragen werden. Ein Höhepunkt dieses Denkens war Luigi Galvanis Entdeckung der tierischen Elektrizität um 1800, die auch als Froschstrom bezeichnet wurde.
Am Ende des Kinofilms "Magnolia" regnen Frösche vom Himmel. Wie würden Sie diese Szene interpretieren?
Hüppauf: Das Erste, was mir dazu einfällt, ist die Frage: Wo kommen Frösche her? Die Vorstellung, dass Frösche vom Himmel regnen, gab es schon in der Antike, und sie wurde in der frühen Neuzeit wiederbelebt. Angesichts des Froschgewimmels im Frühjahr hat die Vorstellung eines Froschregens eine gewisse Plausibilität. Die andere Erklärung: Da ekelt und fürchtet sich eine Zivilisation, die sich vom Tier entfernt hat, vor dem Frosch und lässt im Film das Bedrohliche, Anale, Schleimige vom Himmel regnen.

weiterlesen