

Sexualforscherin Sophinette Becker
Johanna Muckenhuber in FALTER 41/2022 vom 14.10.2022 (S. 22)
ie Sexualforscherin und feministische Psychoanalytikerin Sophinette Becker leitete von 1994 bis 2011 die sexualmedizinische Ambulanz an der Uniklinik Frankfurt a.M. und war Mitherausgeberin der Zeitschrift für Sexualforschung. Becker starb überraschend Ende 2019. Der von Anna Koellreuter und Margret Hauch herausgegebene Band "Leidenschaftlich analytisch" versammelt Texte, die die Autorin zwischen 1984 und 2019 geschrieben hat.
Der Begründer der Psychoanalyse, Sigmund Freud, sah die Frau im Wesentlichen als Nicht-Mann. Dagegen misst Becker den eigenständigen, weiblichen Körpererfahrungen beginnend beim kleinen Mädchen zentrale Bedeutung für die Entwicklung der Frau als Frau bei. Entsprechend kritisch steht sie dem poststrukturalistischen Gender-Diskurs und der ausschließlich sozialen Bestimmtheit von Geschlecht gegenüber.
Becker, Expertin für Transgeschlechtlichkeit, ermutigte Kolleginnen stets, ihre psychoanalytischen Praxen für Menschen mit transidentem Wunsch zu öffnen. Sie plädiert dabei für eine neutrale therapeutische Haltung, die für jeden möglichen Ausgang des Prozesses offen ist. Grundsätzliche Bedenken äußert Becker gegenüber einer zunehmend früher gestellten Diagnose Transidentität bei Kindern und Jugendlichen.
Sie weist darauf hin, dass die Mehrheit der Kinder mit Wunsch, dem anderen Geschlecht anzugehören, später homosexuell wird. Die frühe Unterstützung des transidenten Wunsches mit Pubertätsblockern bzw. Hormonen könnte somit Gefahr laufen, eine Maßnahme zur Abschaffung von Homosexualität zu werden.
Gerade in dieser Zeit multipler Krisen zeigt sich großes seelisches Leid. Entsprechend aktuell sind Beckers Überlegungen zur Zugänglichkeit von Psychotherapie und zur Notwendigkeit der Reflexion der Realitäten psychoanalytisch orientierter Psychotherapie in der psychosozialen Versorgung.