

Aufzeichnungen eines pazifistischen Revolutionärs
Thomas Leitner in FALTER 9/2024 vom 01.03.2024 (S. 33)
Der jüdische Schriftsteller und Revolutionär Ernst Toller hat "Eine Jugend in Deutschland" 1933 verfasst -auf dem Weg in die Emigration, aus der es für ihn keine Wiederkehr gab. "Ein Requiem auf die utopischen Hoffnungen der Zwischenkriegszeit", hat er sein Werk selbst genannt. Im Zentrum steht die versuchte Errichtung einer Räterepublik in München 1919.
Toller blickt zurück auf die anfangs patriotisch-begeistert, schnell aber ernüchtert erlebten Kriegsjahre und seine Beteiligung an der Novemberrevolution in Bayern 1918/19, die er als pazifistische Revolution verstand. Seine Rolle dabei brachte ihm fünf Jahre Festungshaft in Landsberg ein, wo später Hitler einsaß.
Dennoch machte er literarisch Karriere. Bühnenstücke wie "Masse:Mensch" feierten in Berlin am proletarischen Theater von Erwin Piscator Triumphe. Toller war einer der bekanntesten Repräsentanten des Expressionismus und der Neuen Sachlichkeit. Die formale Modernität, seine jüdische Herkunft und das klassenkämpferische, pazifistische Engagement gegen Kapital und Militär ließen ihn zu einem der meistgehassten Gegner im Kulturkampf der Nazis werden. Für sie hatte er nur Spott und Verachtung über
Kein Wunder, dass seine Bücher unter den ersten waren, die öffentlich brannten. Boykott, Emigration und der Freitod 1939 in den USA ließen die Theatererfolge langsam in Vergessenheit geraten. Nur "Eine Jugend in Deutschland" blieb über Jahrzehnte hinweg aufgrund der schonungslosen Selbstreflexion und des lakonischen Pathos ein Kultund Referenzbuch der intellektuellen Linken.
Schön, dass es nun in der von Hans Magnus Enzensberger gegründeten bibliophilen Buchreihe "Die Andere Bibliothek" Einzug gehalten hat. Der Band umfasst einen kundigen Kommentar von Ernst Piper sowie einen offenen Brief, den Toller unter dem Eindruck der Bücherverbrennungen an Goebbels schrieb. Ein wichtiges Zeitdokument.