

Schon wieder Donnerstag
Viktoria Klimpfinger in FALTER 3/2025 vom 17.01.2025 (S. 15)
Die Menschenkette ist geschlossen", verkündet eine Frauenstimme nur eine Dreiviertelstunde nach Beginn der Demo übers Megafon. Man hört sie schlecht, obwohl sich die zehntausenden Menschen am Ballhausplatz erstaunlich ruhig verhalten. Ihre Taschenlampen nehmen das Bundeskanzleramt von allen Seiten ins Visier. Reden gibt es keine, dafür Sprechchöre: "Siamo tutti antifascisti","Ganz Wien hasst die FPÖ" und "Buh!", immer wieder, immer lauter "Buh!".
50.000 Menschen waren dem Aufruf "Alarm für die Republik" gefolgt und hatten sich am vergangenen Donnerstag auf dem Ballhausplatz versammelt. Das ist zumindest die Schätzung der Veranstalter, der NGOs des Österreichischen Netzwerks Zivilgesellschaft, laut Behördenkreisen soll es die Hälfte gewesen sein. Sind die Donnerstagsdemos also zurück?
Vor 25 Jahren war das erste Mal Donnerstag: Mit einer rechtspopulistischen Partei in der Regierung galt Österreich damals noch als Tabubrecher, die EU und die USA kündigten Sanktionen an. Am 4. Februar 2000 wurde die erste schwarz-blaue Koalition mit dem schwarzen Bundeskanzler Wolfgang Schüssel angelobt. Die Hofburg konnten die Politiker nur über einen unterirdischen Gang erreichen - die seitdem sogenannte "Schüssel-Allee" -, weil über ihnen Tausende demonstrierten.
Eine damals schon prominente Figur im Widerstand war Kurto Wendt. Er ist heute Bezirksrat der LINKS-Partei im neunten Bezirk und war 2000 der Sprecher des "Aktionskomitees gegen Schwarz-Blau". Das Innenministerium sah ihn daher auch als einen der Veranstalter der Demos -die 14 Verwaltungsanzeigen gegen ihn wurden allerdings schnell wieder fallen gelassen. Denn: Veranstaltet wurden sie offiziell von niemandem, und darin lag, so Wendt, vermutlich ihre Kraft.
Ob das heute überhaupt noch möglich wäre? Die Menschenkette am Ballhausplatz besitzt jedenfalls ein gewisses Momentum. Gegen 19 Uhr brüllt die Frauenstimme ins Megafon, was vor kurzem publik wurde: "Die Parteien nehmen die Verhandlungen auf!" Buh-Rufe dröhnen über den gesamten Heldenplatz. Man wittert ein historisches Ereignis.
Auch die ersten Demos sind längst heimische Protestgeschichte. Man assoziiert Namen wie Elfriede Jelinek oder Hermes Phettberg, denkt an Hubsi Kramar im Hitler-Kostüm beim Opernball, an geworfene Eier oder den ewig langen Demozug zum ORF am Küniglberg. Bloß, Legenden lassen sich schwer wiederbeleben. Bei dem türkis-blauen Comeback der Koalition 2017 waren die Vorzeichen andere: "2017 gab es bereits viele Rechts-Regierungen", sagt Wendt. Das Tabu war also längst gebrochen, die internationale Aufmerksamkeit eher konsterniertes Kopfschütteln.
Gut 20 Privatpersonen, darunter auch Wendt, schlossen sich allmählich zu einem offiziellen Veranstaltergremium zusammen. Man nahm sich Zeit zum Planen, die erste "Es ist wieder Donnerstag"-Demo fand am 4. Oktober 2018 statt, fast ein Jahr nach der Angelobung der Regierung. Die folgenden Ausgaben waren professioneller organisiert als ihre Vorgänger, hatten fast Festivalcharakter. Gleichzeitig lag darin wohl eine neue Kraft: "Vor allem für das junge Demo-Publikum war es erleichternd, dass man demonstrieren und gleichzeitig Party machen kann", sagt Wendt. "Einige haben erzählt, dass ihre Therapeuten ihnen zum Teilnehmen geraten haben, weil man dann nicht so allein ist in der Tristesse." Am Ballhausplatz fanden sich also erneut mehrere tausend Menschen ein. Und als die türkisblaue Koalition 2019 schließlich gescheitert war, performten die Vengaboys höchstselbst: "We're going to Ibiza."
Und jetzt? Einmal noch gab es einen traditionellen Donnerstag nach den Nationalratswahlen im Herbst 2024 und dem Erdrutschsieg der FPÖ. 25.000 Demonstranten folgten am 3. Oktober dem Motto "Fix zam gegen rechts", damit war es laut Wendt sogar die größte der Donnerstagsdemos. Bis vorigen Donnerstag.
Ob sie nun noch einmal "fix zam" kommen, ist aber fraglich. "Wir wollen nicht Funktionäre unseres eigenen Museums werden", sagt Markus Wailand aus dem "Wieder Donnerstag"-Team. Wendt warnt vor Folklore, Wailand vor Routine -beides Treibsand für die progressive Kraft. Ihnen selbst reicht es nicht mehr, jeden Donnerstag zu demonstrieren; neue Aktionen sind bereits in Planung. Wenn jemand anderer die Tradition fortführt, würden sie das aber begrüßen.
Die Menschenkette soll allerdings etwas Einmaliges gewesen sein. "Was weiter kommt, müssen wir erst diskutieren", sagt Alexander Pollak von SOS Mitmensch. Alon Ishay, Präsident der Jüdischen österreichischen Hochschüler:innen (JöH), will sich mit den NGOs absprechen. Die JöH haben bereits am Montag nach Platzen der ersten Koalitionsverhandlungen eine Kundgebung organisiert. Während Kickl dem Bundespräsidenten die Hand schüttelt, demonstrieren draußen Hunderte. "Sollte es zu einer Angelobung der ersten rechtsextrem geführten Regierung seit 1945 kommen, wird es bestimmt eine riesige Demonstration geben", sagt Ishay. "Idealerweise müssen die Regierungsbeamten wieder durch unterirdische Tunnel in die Hofburg gelangen." Aus Schüssel-Allee würde Kickl-Chaussee.