Philosophie und Aktualität

Ein Streitgespräch
104 Seiten, Taschenbuch
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Reihe Passagen Forum
ISBN 9783851656732
Erscheinungsdatum 01.05.2005
Genre Philosophie/20., 21. Jahrhundert
Verlag Passagen
Übersetzung Maximilian Probst
Übersetzung Peter Engelmann, Sebastian Raedler
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Kurzbeschreibung des Verlags

Zwei kontroverse Denker zur ebenso zeitlosen wie drängenden Frage: Soll sich der Philosoph ins aktuelle Geschehen einmischen?Nichts weniger als die Philosophie selbst steht hier auf dem Spiel, denn: Philosophie gibt es überhaupt nur, so Badiou, als Einmischung, als Engagement, will sie nicht in akademischer Disziplin erstarren. Sie ist fremdartig und neu, und dennoch spricht sie im Namen aller – wie Badiou mit einer Theorie der Universalität zeigt, die er als Resümee seiner Philosophie verstanden wissen will.Ähnlich Žižek: Der Philosoph muss eingreifen, anders aber als erwartet. In den Streitfragen der Zeit kann er keine Orientierung bieten – aber zeigen, dass die Fragen selbst schon falsch gestellt sind: die Begriffe der Debatten gilt es zu verändern!, meint Žižek und landet bei einer Philosophie als Abnormalität und Exzess.

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ISBN 9783851656732
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FALTER-Rezension

Demokratie steht für den Namen unserer Feinde

Wolfgang Zwander in FALTER 44/2011 vom 04.11.2011 (S. 16)

Der Starphilosoph Alain Badiou über die Zeit nach dem Kapitalismus und die Gründe, warum sich der Kommunismus vom Staat verabschieden muss

Nach den Unruhen von 1968, an denen Badiou führend mitgewirkt hatte, lebte er viele Jahre in Anonymität und war in Vergessenheit geraten. Heute ist er der meistgelesene und meistübersetzte Philosoph in Frankreich. Wer ihn in Paris besucht, spürt nichts von seinem Ruhm. Ein am Haupt ergrauter Herr mit gutmütigem Blick und tief sitzenden, funkelnden Augen öffnet die Tür, reicht die Hand und sagt: "Bonjour". In der Wohnung im sechsten Stock, die seiner ebenfalls anwesenden Gefährtin Isabelle Vodoz gehört, wartet ein kleines Wohnzimmer mit bequemen Polstermöbeln, es werden Kaffee und Gebäck kredenzt. In den kommenden zwei Stunden wird viel gelacht und die Worte werden abwechselnd auf Deutsch, Englisch und Französisch gewechselt. Die Stimmung ist so gut, dass die erste Frage fast ein bisschen peinlich stimmt.

Falter: Herr Badiou, die französischen
Medien nennen Sie den "gefährlichsten Denker unserer Zeit". Warum
lösen Sie Angst aus?
Alain Badiou: In Frankreich gab es in den 80er-Jahren eine große Welle der Reaktion. Das führte zu einem gesellschaftlichen Konsens, den man in drei Punkten zusammenfassen kann: Erstens, dass allein die liberale Demokratie vernünftig ist; zweitens, dass wir den Kapitalismus brauchen; drittens, dass die Philosophie die Moral der Menschenrechte sein muss. Meine Besonderheit ist, dass ich bei diesem Trend nicht mitgemacht habe und mich auch heute noch für einen radikalen Wandel ausspreche. Deshalb wirke ich wie ein gefährlicher Mann.
Warum hat sich der Konsens von
Ihnen weg bewegt?
Badiou: Der wichtigste Grund dafür ist das komplette Scheitern der sozialistischen Staaten. Spätestens seit dem Ende der 70er-Jahre war klar, dass der Staatssozialismus ein historischer Fehler ist. Die Arbeiterbewegungen hat es überall zerrieben. Es ist ein allgemeines Gesetz: Auf eine Aktion folgt eine Reaktion.
Trotzdem schreiben Sie, dass es gerade in unseren Tagen wichtig sei, dem Kommunismus die Treue zu halten. Warum?
Badiou: Ich glaube, dass wir die Möglichkeit haben, eine neue Form von historischer Bewegung zu schaffen. In den
vergangenen Jahrzehnten haben sich die Menschen darauf beschränkt, entrüstet zu sein. Sie haben gedacht, gegen etwas zu sein, zum Beispiel gegen den Kapitalismus, verheiße bereits die Erschaffung von etwas Neuem. Das ist eine Position der Avantgarde, die sagt, wir müssen die alte Kunst zerstören, wir müssen die alte Politik zerstören, und die glaubt, allein der Akt der Zerstörung würde etwas Neues gebären. Aber das ist nicht wahr, viel zu oft bewirkt
Zerstörung einfach nur Zerstörung. Die Terrorexzesse nach der bolschewistischen Revolution sind in diesem Sinne zu verstehen. Die philosophische Frage, die sich aus dieser gewalttätigen Destruktion ergibt, lautet: Wie können wir diese ablehnende Haltung, die notwendig ist, weil wir in
Opposition sind, mit der Zustimmung zu etwas Neuem verbinden?
Und das Neue soll ausgerechnet den alten Namen Kommunismus tragen?
Badiou: Die konkrete Bezeichnung ist unwichtig, es ist nur ein Wort, aber der Name Demokratie wäre zu schwach für unser Projekt. Er steht heute, aber nicht generell, für den Namen unserer Feinde. Es wäre zu verwirrend, sich auf das Gleiche zu beziehen wie George W. Bush und Nicolas Sarkozy, die im Namen der Demokratie Unheil über die Welt bringen. Die spanische Jugend, die jüngst eindrucksvoll die Straßen und die öffentlichen Plätze besetzt hielt, forderte "wahre Demokratie". Aber darunter kann sich niemand etwas vorstellen, weil das Wort Demokratie vom aktuellen System besetzt ist. Die Wahl des Wortes Kommunismus scheint mir daher aus zwei Gründen notwendig: Erstens, es ist unabdingbar, dass unsere Bewegung irgendeinen eigenen Namen trägt. Zweitens, der Name Kommunismus ist ein skandalöser, der immer noch die Kraft der großen Geschichte der Emanzipation in sich trägt. Die wichtigsten Denker der Emanzipation haben im 19. Jahrhundert ihr Leben unter das Banner dieses Wortes gestellt. Natürlich ist es mittlerweile kompromittiert, aber das ist keine Partikularität, und die einzige Alternative, die ich dazu sehe, wäre die Erfindung eines neuen Namens. Aber ich kenne keinen. Es wird hoffentlich in einer neuen Situation einer entstehen, aber einstweilen müssen wir dem Namen Kommunismus die Treue halten.
Ihre Gegner werfen Ihnen vor, mit dieser Treue würden Sie Stalins Untaten verharmlosen.
Badiou: Es ist mein tiefes Bestreben, die stalinistischen Verbrechen komplett zu verstehen. Das ist für mich viel wichtiger als für meine Kritiker, weil ich ja die kommunistische Idee fortführen will. Meine Kritiker haben es einfach, sie stehen auf der Seite des Kapitals und können sagen, seht her, jeder Versuch, kommunistische Ideen zu verwirklichen, muss zu Stalin führen. Mein Punkt zu diesem Thema ist aber kein moralischer, sondern ein politischer: Wir müssen verstehen, warum es in den sozialistischen Staaten zu diesem unglaublichen Terror gekommen ist. Es war ja nicht nur die Verrücktheit von Stalin, die Massenmorde ermöglichte, sondern die passierten in vielen kommunistischen Staaten. Ich stehe absolut nicht auf der Seite von Stalin, das habe ich nie getan, ich war niemals ein orthodoxer Kommunist. Meine Kritik am kommunistischen Staat ist radikal, und aus den Erfahrungen mit Stalin ergeben sich für mich zwei mögliche Konsequenzen: entweder die Rückkehr zum Kapitalismus oder die Antizipation eines neuen Verhältnisses von Staat und Politik. Wir müssen das Denken überwinden, das nur den demokratischen Staat und die Diktatur kennt. Die kommunistische Idee muss zwischen den beiden Begriffen ansetzen.
Der Kommunismus, der seine Macht auf Verstaatlichung aufgebaut hat, soll nun also jenseits des Staates entstehen?
Badiou: Die ganze Theorie von Marx handelt vom Absterben des Staates. Eine emanzipatorische Bewegung lässt sich niemals auf den Staat reduzieren. Das kleine Stück einer neuen Welt, die durch Utopien und Aufstände erschaffen werden kann, ist immer eine Welt der kollektiven Entscheidungen. Aber das ist eine sehr komplexe Angelegenheit, weil ich nicht glaube, dass der Antagonismus zwischen Staat und Zivilgesellschaft kurzfristig und mit Gewalt aufgebrochen werden kann. Dieser Punkt ist in der Gegenwart nicht zu erreichen, er muss langfristig angegangen werden.
Die Bürger sollten den Staat also bestmöglich ignorieren?
Badiou: Ich würde sagen, wir müssen eine neue Distanz zum Staat herstellen. In der aktuellen Situation leben wir ja alle unter dem Gesetz des Staates. Deshalb sollten wir etwas erschaffen, das zwischen ihm und uns steht. Progressive Bewegungen, die diese Distanz aufrechterhalten und für sich eine kleine Welt außerhalb der staatlichen Macht bilden. Der mit Abstand wichtigste Punkt dabei ist, dass eine Organisationsform gefunden wird, die das Fortbestehen dieser meistens spontan entstandenen Bewegungen sichert. Die kollektiven zivilgesellschaftlichen Gruppen müssen eine Möglichkeit finden, sich selbst langfristig in der Wirklichkeit zu verankern.
Aber sollte der Staat nicht der Hüter
von Gesetz und Ordnung bleiben,
der Garant gegen Gewalt und Verbrechen?
Badiou: Es ist heute unmöglich, sich eine Welt ohne Staat vorzustellen. Unsere Vorstellung steht im Kontext der Gegenwart, das heißt, sie hat Grenzen. Die entscheidende Frage ist, wie wir eine Bewegung in Gang setzen können, die das Potenzial in sich trägt, für eine radikale Veränderung der Beziehung zwischen der Macht und dem kollektiven Leben der Menschen zu sorgen. Wir wissen, dass kollektiv organisierte Massen zumindest für ein paar Wochen sehr friedlich und ordentlich zusammenleben können. Das ist wichtig, denn alles, was heute wie selbstverständlich existiert, geht auf ganz kleine Anfänge zurück. Ich nenne Ihnen als Beispiel die Pariser Kommune von 1871. Die staatliche Propaganda verkündet bis heute, das Leben dort sei furchtbar gewesen. Das Gegenteil war der Fall: Während der zwei Monate ihrer Existenz verlief alles sehr ruhig, friedlich und organisiert. Damals zeigte sich die Möglichkeit einer neuen Zukunft, die allerdings sehr schnell von der Armee in Blut ertränkt wurde.
Welche Ansatzpunkte sehen Sie in der Gegenwart, die eine Veränderung der Beziehung zwischen der Macht und dem Leben der Bürger verheißen könnten?
Badiou: Es ist nie voraussehbar, was politisch passieren wird und wie sich die Menschen verhalten werden. Nehmen Sie den Aufstand in Ägypten, den bis heute niemand wirklich einordnen kann. Was ich aber sehe, sind ein paar generelle Prinzipien, die für historische Ausnahmesituationen Gültigkeit besitzen. Wenn etwas wirklich Neues entsteht, kann es nie auf ein paar Partikularinteressen reduziert werden. So wie der Aufstand in Ägypten im Namen aller Ägypter durchgeführt wurde, so sehr pochte man während der Französischen Revolution auf die Gleichheit aller Franzosen. Etwas wirklich Neues trägt immer ein Prinzip mit universeller Gültigkeit in sich.
Aber war es letztlich nicht die egalitär ausgelegte Französische Revolution, die den Kapitalisten zum Durchbruch verhalf, indem sie nur dem Schein nach alle Franzosen vertrat, in Wirklichkeit aber Partikularinteressen? Und droht nun nicht auch den Ägyptern das Schicksal, dass ihnen ihre
Revolution von den Militärs gestohlen wird?
Badiou: Ja, das hängt beides mit der Struktur des kapitalistischen Systems zusammen. Es ist eine Organisation von Millionen Menschen, durch deren Gesetze eine kleine Minderheit bevorzugt wird. Es ist mit dieser Intention entstanden und es funktioniert weiter nach diesen Regeln. Es ist ein oligarchisches, meiner Meinung nach pathologisches System. Für einen Philosophen ist das ein höchst verwirrendes Gefühl: Wie können gleichzeitig große Denker und hunderte Millionen von Menschen es zulassen, dass ihr Leben von wenigen Superreichen bestimmt wird? Das ist keine ideologische Kritik, denn wir können nicht nur sagen, dass der Kapitalismus ein höchst düsteres, menschenfeindliches System ist, nein, er ist auch ein irrationales, falsches System. Umstürze, die an der kapitalistischen Logik festhalten, können langfristig keinen Erfolg haben, sie werden immer die alten Ungerechtigkeiten reproduzieren.

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