

Die Liebe ist das Vertrauen auf den Zufall
Kirstin Breitenfellner in FALTER 30/2011 vom 27.07.2011 (S. 36)
Was ist die Liebe? Der französische Philosoph Alain Badiou legt in diesem schmalen Bändchen eine radikale und emphatische Verteidigung eines Gefühls vor, das wider den Stachel von Sicherheit und Eigennutz löckt. Hervorgegangen aus einem Gespräch mit Nicolas Truong beim Festival in Avignon 2008, stürmte sein "Lob der Liebe" ein Jahr später die französischen Charts und schickt sich gerade an, das deutschsprachige Feuilleton zu erobern.
Leben wir tatsächlich in einer Welt, in der jeder nur seine eigenen Interessen verfolgt? Die Liebe sei der Gegenbeweis, sagt Badiou und wendet sich gegen die "völlig banale Vorstellung, dass die Liebe nur ein imaginärer Anstrich über das Reale des Geschlechtlichen sei". Das Werben von Internet-Partnervermittlungen für eine Liebe ohne Risiko liegt für ihn nicht weit entfernt von der gerne diffamierten arrangierten Ehe und gleicht der Idee eines Kriegs ohne Tote.
In der Sexualität hat man durch den Genussaspekt mit sich selbst zu tun, in der Liebe mit dem anderen. Sie führt uns "zur Vorstellung, dass man die Welt vom Gesichtspunkt des Unterschieds aus erfahren kann". Die Liebe ist an das Sein des anderen gerichtet, "an den anderen, wie er mit seinem Sein bewaffnet in mein Leben getreten ist und es damit zerbrochen und neu zusammengesetzt hat". Und erschafft mit ihm eine neue Wirklichkeit, die die Entfaltung der Welt durch das Prisma des Unterschieds wahrnimmt.
Dieses "Wahrheitsverfahren" ist für Badiou mit der Politik verwandt, der Wahrheitskonstruktion der Gemeinschaft, über die der ehemalige Marxist ebenfalls Erhellendes zu sagen hat. Und bedeutet "die Möglichkeit, bei der Geburt der Welt dabei zu sein" – ebenso wie der eines Kindes. "Eine Wahrheit ist nichts, das in bonbonrosa Geschenkpapier verpackt geliefert wird." Zur Liebe gehören also Schmerz, Widersprüche und Gewalt.
Für ihre Entstehung auf den Zufall angewiesen, verwirklicht sie sich in der Dauer. Badiou bezeichnet sie als "hartnäckiges Abenteuer", als trotz ihres zufälligen Beginns "radikales Ereignis", eine Konstruktion, "die so fest ist, als wäre sie notwendig gewesen". Schön. Und hoffentlich wahr.