

Das patscherte Leben des Genossen Pawel Dobrynin
Emily Walton in FALTER 41/2011 vom 14.10.2011 (S. 25)
Andrej Kurkows Roman"Der wahrhaftige Volkskontrolleur" ist nicht ganz leicht zu folgen, dafür aber lustig
In "Der wahrhaftige Volkskontrolleur" geht es kalt, aber herzlich zu. Genosse Pawel Dobrynin, ein naiver, treuer Typ, wird darin zum Volkskontrolleur ernannt und in den bitterkalten Norden der Sowjetunion gesandt. Er landet in Jakutien, wo es im Winter nie hell wird.
Pawel ist ein bis zur Dummheit ehrlicher Genosse. Er hinterfragt nicht, was seine Aufgaben sein werden, sondern gibt sich mit der Erklärung zufrieden, dass er Menschen und Fabriken in der Sowjetunion überprüfen soll. "Das Wichtigste ist nicht, zu verstehen, sondern zu handeln. Verstanden?", sagt man ihm bei seiner Ernennung. Patschert stolpert Pawel seinem Schicksal entgegen. Frau, Kinder und Hund lässt er in einem kleinen Dorf zurück.
Mit Zwieback und Axt im Gepäck fährt er zum Kreml und sieht zum ersten Mal eine Stadt. Wie alle Ranghöheren bekommt er eine Dienstfrau zur Seite gestellt, mit der er Tisch und Bett in einer Dienstwohnung teilen soll. Später, als sie ihm mitteilt, dass sie Vorsitzende der Frauenkommission des Obersten Sowjet für Mutterschaft und glückliches Familienleben ist, befürchtet er, noch mehr mit dieser Frau teilen zu müssen. Lange hält sich der gutgläubige Held freilich nicht in der Großstadt auf, er bricht nach Norden auf.
Die Reise des Volkskontrolleurs ist der tragende von vier Handlungssträngen. Kurkow schweift aber auch in andere Regionen der Sowjetunion ab. Aufgepasst: Der Leser begegnet dabei unter anderem einem Engel, der auf die Erde gekommen ist, um den ersten gerechten Menschen in der UdSSR zu finden (denn bisher ist noch kein Sowjet in den Himmel gekommen). Der Engel lernt eine Gruppe einfacher Menschen – Deserteure und Bauern – kennen, die dem Stern Archipka ins Neue Gelobte Land folgen. Als wären zwei bizarre Handlungsebenen nicht genug, erzählt Kurkow auch die Geschichte eines Schuldirektors, der einer Frau das Träumen beibringen will, indem er mit ihr Fallschirmspringen geht. Und schließlich gibt es noch Künstler Mark, der mit seinem Papagei durchs Land reist. Der Vogel rezitiert politische Gedichte.
Diese Figuren erwachen nicht wirklich zum Leben. Sobald man sich in eine Szene eingefühlt hat, wird der Schauplatz gewechselt. Einzig Pawel wirkt dreidimensional. Ab dem zweiten Drittel des Buchs steigt die Zahl der Nebenfiguren so stark an, dass der Lesefluss dadurch gestört wird – auch wenn man sich in der Zwischenzeit an die russischen Namen der Figuren (Vorname, Vatername, Nachname und auch noch Spitzname) gewöhnt hat.
Auch der Verlag hat den Überblick verloren. Im Klappentext steht, dass Pawel auf seiner Reise dem Engel und dem Papageienbesitzer begegnet. Tatsächlich werden diese Fäden nicht zusammengeführt. Das scheint auch gar nicht Kurkows Ziel zu sein. Viel eher dürfte es ihm um Dichte gehen. Als wollte er eine möglichst absurde, fantasievolle Geschichtensammlung aus der Lenin-Sowjetunion zu einem Roman verweben. Herrlich komisch sind die Passagen zur Leninisierung. So sollen alle kultischen Plätze der Völker des Nordens in Leninwinkel verwandelt werden, leider werden aber zu wenige Büsten geliefert.
Bei allem Humor bleibt das traurige Leben eines Genossen, der für den Staat lebte, vom Staat träumte und seine eigenen Bedürfnisse vergaß.